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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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über mit meinem Schnizwerk erhalten müssen, welches
nicht viel einträgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben
ersehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue
mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlseyn.
Die vergnügte Zufriedenheit erhält dennoch mich bei
meinen betrübten Umständen etc.

Schwiebus,
den 2ten Ostertag 1762.

Ihr allzeit guter Freund
Joh. Christ. Grafre.

So unangenehm das Auge der jungen Dürbach
auf dem Gesicht ihres Hirten ruhete, so gern sahe sie
doch der Bewegung seines großen Mundes zu, wenn
er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieses that
er sehr gern' und that es daher oft. Ihr Wunsch war,
daß der Sommer ewig dauern möchte, allein er ver-
ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz
verstohlen gelesen werden, weil es ihre Mütter nicht
litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Bücher
geliehen, welche sie sorgfältig in dem Garten unter
einem Hollunderstrauch versteckte. Abends holte sie
dieselben wieder und verbarg sie unter ihr Kopfküssen,
damit sie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte,
daß sie noch schliefe, lesen könnte. Auch ging sie in
das väterliche Haus des Hirten, so oft sie sich dahin
stehlen konnte, und las die Bücher bei ihm selbst. Es
ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver-
schönerte ihn seiner Hirtin durch immer neue Bücher,

uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches
nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben
erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue
mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn.
Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei
meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc.

Schwiebus,
den 2ten Oſtertag 1762.

Ihr allzeit guter Freund
Joh. Chriſt. Grafre.

So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach
auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie
doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn
er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that
er ſehr gern’ und that es daher oft. Ihr Wunſch war,
daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver-
ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz
verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht
litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher
geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter
einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie
dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen,
damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte,
daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in
das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin
ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es
ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver-
ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,

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[27/0059] uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn. Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc. Schwiebus, den 2ten Oſtertag 1762. Ihr allzeit guter Freund Joh. Chriſt. Grafre. So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that er ſehr gern’ und that es daher oft. Ihr Wunſch war, daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver- ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen, damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte, daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver- ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/59>, abgerufen am 21.11.2024.