sogar die gute Mutter der Dichterin mit spitzen und anzüglichen Reden wider ihre Tochter. Diese würdige Frau, welche sich schon durch einen Schatten von Ta- del an ihrer Ehre gekränkt fühlte, und welche auf einen guten Ruf mehr hielt als auf alles Glück in der Welt: verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unsegens, jeden Umgang mit diesem jungen Menschen; und um dieselbe vor allen Unfällen, welche jungen feurigen Dir- nen begegnen können, zu sichern, beschloß sie, sobald als möglich ihr selbst einen Mann zu wählen. Ob das Mädchen dabei glücklich oder nicht seyn würde, konnte sie nicht berechnen, weil sie den Grundsatz ihrer Vor- mütter hatte, daß ein Mädchen glücklich genug sey, wenn sie bald einen Mann bekäme, der ihr Schutz und Brod gäbe. Sie selbst war in ihren beiden Ehen nicht nach den Wünschen ihres Herzens verheirathet, aber sie war doch eine rechtschaffne Frau: dieser Name be- friedigte zugleich ihre übrigen Wünsche.
Unter den verschiedenen Freyern, welche sich um ihre Tochter bewarben, meldete sich auch ein junger Tuchweber und Tuchhändler aus Schwiebus, Namens Hirsekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreise für den besten Wirth, aber auch für einen heftigen und zornigen Menschen bekannt war. Der Eigennutz war seine erste Hauptleidenschaft; er hatte, ehe er in die Fremde ging, vernommen, daß die junge Dürbach
c 3
ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta- del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt: verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens, jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir- nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor- muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey, wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be- friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.
Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach
c 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0069"n="37"/>ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und<lb/>
anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige<lb/>
Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta-<lb/>
del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen<lb/>
guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt:<lb/>
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens,<lb/>
jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um<lb/>
dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir-<lb/>
nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald<lb/>
als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das<lb/>
Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte<lb/>ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor-<lb/>
muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey,<lb/>
wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und<lb/>
Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht<lb/>
nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber<lb/>ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be-<lb/>
friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.</p><lb/><p>Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um<lb/>
ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger<lb/>
Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens<lb/><hirendition="#fr">Hirſekorn</hi>, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr<lb/>
den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und<lb/>
zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war<lb/>ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die<lb/>
Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach<lb/><fwplace="bottom"type="sig">c 3</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[37/0069]
ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und
anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige
Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta-
del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen
guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt:
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens,
jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um
dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir-
nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald
als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das
Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte
ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor-
muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey,
wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und
Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht
nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber
ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be-
friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.
Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um
ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger
Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens
Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr
den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und
zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war
ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die
Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach
c 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/69>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.