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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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men hatte; allein wenn der Mann sie lesen sah, so
litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem
Schooße, oder neben sich, verlas sie die Wolle zum
Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geschäfte,
welche zur Profeßion gehörten, indeß ihre feinen Ge-
fühle in tausend selbst gemachten Vorstellungen her-
umflatterten. Ganz natürlich war es daher, daß sie
nicht ihre Handlung in gehöriger Ordnung hinter ein-
ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im-
mer von neuem aufgebracht wurde.

Als ihr erster Sohn sechs Vierteljahr alt war,
gebar sie den zweyten. Ihr zum Geize so sehr geneigter
Mann ward nun um so sparsamer, je mehr seine
Haussorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die
Seinigen, und sparte seinen eigenen Fleiß beym Ge-
werbe nicht, allein er hätte sich zuweilen gern eine
frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten
mehr Aufwand gezeigt; dieses aber fiel weg, sobald er
mehrere Menschen zu ernähren hatte, welche ihm
das, was sie kosteten, nicht wieder einarbeiteten. Als
ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine
solche Haushaltung allerdings üble Laune machen, be-
sonders da er ein so stürmisches ungeduldiges Tempe-
rament hatte. Grausam aber war es von ihm, daß
er seine böse Launen an dem unschuldigen Geschöpf, an
seiner fleißigen und folgsamen Frau ausließ, und das-

men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo
litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem
Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum
Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte,
welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge-
fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her-
umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie
nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein-
ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im-
mer von neuem aufgebracht wurde.

Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war,
gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter
Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine
Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die
Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge-
werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine
frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten
mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er
mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm
das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als
ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine
ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be-
ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe-
rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß
er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an
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[44/0076] men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte, welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge- fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her- umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein- ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im- mer von neuem aufgebracht wurde. Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war, gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge- werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be- ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe- rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an ſeiner fleißigen und folgſamen Frau ausließ, und das-

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/76>, abgerufen am 18.05.2024.