dritte, womit sie ging, schloß er von seinem Erbtheil aus, so wie die beiden, welche er behielt, von ihrem etwanigen Vermögen. Weil sie ganz keinen Beystand und keinen Rathgeber hatte, so glaubte sie, daß sie dieses alles so eingehen müßte, wie ers verlangte, und so ließ sie es geduldig geschehen. Beide fuhren nun wieder in einem Wagen nach Hause. Zwar suchte er ihr Muth einzusprechen; aber Reue über das Elend, in welches er sie stürzte, kam ihm nicht in den Sinn. Sobald sie zurückgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht, daß sie sein Haus meidete; aber wohin sie ihre Zuflucht nehmen sollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm das Bündelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ, unter ihren Arm, und so zwischen Mangel und Schmach, verstoßen von einem Manne, welchen sie liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beystand, ohne zu wissen, wo sie künftig ihr Haupt würde kön- nen ruhen lassen, wankte sie aus ihrem Hause, zu ih- rer guten Schwiegermutter, welche sie mit offenen Ar- men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil eine geschiedene Frau in ihrer Hütte, dem ganzen Städtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs- brief endlich ankam, der sie nun aller Hoffnung be- raubte, mußte sie auch einen Ort verlassen, wo jeder Gegenstand sie an ihr schmachvolles Elend erinnerte. Sie nahm also eines Tages ihr Bündelchen Sachen,
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dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend, in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn. Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht, daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ, unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand, ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn- nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih- rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar- men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs- brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be- raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte. Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,
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dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil
aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem
etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand
und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie
dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und
ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun
wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er
ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend,
in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn.
Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht,
daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht
nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm
das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ,
unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und
Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie
liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand,
ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn-
nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih-
rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar-
men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil
eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen
Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs-
brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be-
raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder
Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte.
Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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