Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt ihr beständig vor, daß er ihr seinen Namen ge-
geben hätte, und Sie sagte ihm, daß sie ihm keinen
Dank dafür wüßte, weil er durch die Neigung zum
Trunk sie in neue Sorgen stürzte. Dabei blieb es noch
eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn
er liebte wirklich seine Frau.

Nach einer beinahe zweijährigen Ehe brachte sie
eine kleine Karschin zur Welt. Der häusliche Zu-
stand war so beschaffen, daß dies Kind kaum in Win-
deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue
Last für ihre Mutter wurde. Indessen hatte die Dich-
terin schon einige Bekanntschaften gemacht, welche
wohlhabend genug waren und sie in ihrem Wochen-
bette unterstützten. Sie bat einige von guter Familie
poetisch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali-
ger Weise artige Pathengeschenke. Karsch, welchem
in seinem Kinde der Abgott seines Herzens geboren
war, der es mit väterlicher Zärtlichkeit liebte, konnte
doch hingehen und das meiste von dem Pathengelde
vertrinken. Einsmals hatte seine Frau dem Kinde
Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieses versetzte
er heimlich, und betrunk sich dafür. So irrt der
Mensch in seinen Leidenschaften.

Nach der Geburt dieser Tochter wurde die Dichte-
rin so arm, daß sie kaum ärmer werden konnte. Man-
chen Tag hatte sie nicht das Brod, den Hunger ihres

Söhn-

hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge-
geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen
Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum
Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch
eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn
er liebte wirklich ſeine Frau.

Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie
eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu-
ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win-
deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue
Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich-
terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche
wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen-
bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie
poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali-
ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem
in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren
war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte
doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde
vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde
Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte
er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der
Menſch in ſeinen Leidenſchaften.

Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte-
rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man-
chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihres

Soͤhn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="64"/>
hielt ihr be&#x017F;ta&#x0364;ndig vor, daß er ihr &#x017F;einen Namen ge-<lb/>
geben ha&#x0364;tte, und Sie &#x017F;agte ihm, daß &#x017F;ie ihm keinen<lb/>
Dank dafu&#x0364;r wu&#x0364;ßte, weil er durch die Neigung zum<lb/>
Trunk &#x017F;ie in neue Sorgen &#x017F;tu&#x0364;rzte. Dabei blieb es noch<lb/>
eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn<lb/>
er liebte wirklich &#x017F;eine Frau.</p><lb/>
        <p>Nach einer beinahe zweija&#x0364;hrigen Ehe brachte &#x017F;ie<lb/>
eine kleine Kar&#x017F;chin zur Welt. Der ha&#x0364;usliche Zu-<lb/>
&#x017F;tand war &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß dies Kind kaum in Win-<lb/>
deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue<lb/>
La&#x017F;t fu&#x0364;r ihre Mutter wurde. Inde&#x017F;&#x017F;en hatte die Dich-<lb/>
terin &#x017F;chon einige Bekannt&#x017F;chaften gemacht, welche<lb/>
wohlhabend genug waren und &#x017F;ie in ihrem Wochen-<lb/>
bette unter&#x017F;tu&#x0364;tzten. Sie bat einige von guter Familie<lb/>
poeti&#x017F;ch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali-<lb/>
ger Wei&#x017F;e artige Pathenge&#x017F;chenke. <hi rendition="#fr">Kar&#x017F;ch</hi>, welchem<lb/>
in &#x017F;einem Kinde der Abgott &#x017F;eines Herzens geboren<lb/>
war, der es mit va&#x0364;terlicher Za&#x0364;rtlichkeit liebte, konnte<lb/>
doch hingehen und das mei&#x017F;te von dem Pathengelde<lb/>
vertrinken. Einsmals hatte &#x017F;eine Frau dem Kinde<lb/>
Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch die&#x017F;es ver&#x017F;etzte<lb/>
er heimlich, und betrunk &#x017F;ich dafu&#x0364;r. So irrt der<lb/>
Men&#x017F;ch in &#x017F;einen Leiden&#x017F;chaften.</p><lb/>
        <p>Nach der Geburt die&#x017F;er Tochter wurde die Dichte-<lb/>
rin &#x017F;o arm, daß &#x017F;ie kaum a&#x0364;rmer werden konnte. Man-<lb/>
chen Tag hatte &#x017F;ie nicht das Brod, den Hunger ihres<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">So&#x0364;hn-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0096] hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge- geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn er liebte wirklich ſeine Frau. Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu- ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win- deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich- terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen- bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali- ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der Menſch in ſeinen Leidenſchaften. Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte- rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man- chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihres Soͤhn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/96
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/96>, abgerufen am 21.11.2024.