eines satirischen Buches, das ich gelesen, gehalten waren. Ein ander Mal sollten wir einen vom Gewitter überfallenen Jahrmarkt schildern; auch dieser Aufsatz spann sich mir sehr lang aus, steckte aber so voller Possen, daß ich ihn so wenig ein¬ gab, wie jene Ferienreise. Der Lehrer fragte aber gar nicht darnach, weil er wußte, daß ich Alles konnte, was er von dieser Klasse verlangte, und da ich mich sonst still hielt, ließ er mich gänzlich in Ruhe und that als ob ich nicht da wäre, so daß ich während seiner Stunden immer las. Gelegentlich wurde ich etwa aufgerufen, um irgend einen lateinischen Ausdruck der Grammatik zu sagen; diese hatte ich aber längst vergessen, und kenne sie auch jetzt nicht, weil ich ohne sie oder vielmehr neben ihr vorbei schreiben gelernt hatte. Doch der Lehrer hielt mein Schweigen für Vorsätzlichkeit und war froh, mich gelinde be¬ strafen zu können, um mich nicht zu stolz werden zu lassen.
Er war ein Schöngeist und diktirte uns dann und wann als Leckerbissen eine Stelle aus einem deutschen Klassiker, welche für uns zugänglich war.
eines ſatiriſchen Buches, das ich geleſen, gehalten waren. Ein ander Mal ſollten wir einen vom Gewitter uͤberfallenen Jahrmarkt ſchildern; auch dieſer Aufſatz ſpann ſich mir ſehr lang aus, ſteckte aber ſo voller Poſſen, daß ich ihn ſo wenig ein¬ gab, wie jene Ferienreiſe. Der Lehrer fragte aber gar nicht darnach, weil er wußte, daß ich Alles konnte, was er von dieſer Klaſſe verlangte, und da ich mich ſonſt ſtill hielt, ließ er mich gaͤnzlich in Ruhe und that als ob ich nicht da waͤre, ſo daß ich waͤhrend ſeiner Stunden immer las. Gelegentlich wurde ich etwa aufgerufen, um irgend einen lateiniſchen Ausdruck der Grammatik zu ſagen; dieſe hatte ich aber laͤngſt vergeſſen, und kenne ſie auch jetzt nicht, weil ich ohne ſie oder vielmehr neben ihr vorbei ſchreiben gelernt hatte. Doch der Lehrer hielt mein Schweigen fuͤr Vorſaͤtzlichkeit und war froh, mich gelinde be¬ ſtrafen zu koͤnnen, um mich nicht zu ſtolz werden zu laſſen.
Er war ein Schoͤngeiſt und diktirte uns dann und wann als Leckerbiſſen eine Stelle aus einem deutſchen Klaſſiker, welche fuͤr uns zugaͤnglich war.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0373"n="359"/>
eines ſatiriſchen Buches, das ich geleſen, gehalten<lb/>
waren. Ein ander Mal ſollten wir einen vom<lb/>
Gewitter uͤberfallenen Jahrmarkt ſchildern; auch<lb/>
dieſer Aufſatz ſpann ſich mir ſehr lang aus, ſteckte<lb/>
aber ſo voller Poſſen, daß ich ihn ſo wenig ein¬<lb/>
gab, wie jene Ferienreiſe. Der Lehrer fragte<lb/>
aber gar nicht darnach, weil er wußte, daß ich<lb/>
Alles konnte, was er von dieſer Klaſſe verlangte,<lb/>
und da ich mich ſonſt ſtill hielt, ließ er mich<lb/>
gaͤnzlich in Ruhe und that als ob ich nicht da<lb/>
waͤre, ſo daß ich waͤhrend ſeiner Stunden immer<lb/>
las. Gelegentlich wurde ich etwa aufgerufen, um<lb/>
irgend einen lateiniſchen Ausdruck der Grammatik<lb/>
zu ſagen; dieſe hatte ich aber laͤngſt vergeſſen,<lb/>
und kenne ſie auch jetzt nicht, weil ich ohne ſie<lb/>
oder vielmehr neben ihr vorbei ſchreiben gelernt<lb/>
hatte. Doch der Lehrer hielt mein Schweigen fuͤr<lb/>
Vorſaͤtzlichkeit und war froh, mich gelinde be¬<lb/>ſtrafen zu koͤnnen, um mich nicht zu ſtolz werden<lb/>
zu laſſen.</p><lb/><p>Er war ein Schoͤngeiſt und diktirte uns dann<lb/>
und wann als Leckerbiſſen eine Stelle aus einem<lb/>
deutſchen Klaſſiker, welche fuͤr uns zugaͤnglich war.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[359/0373]
eines ſatiriſchen Buches, das ich geleſen, gehalten
waren. Ein ander Mal ſollten wir einen vom
Gewitter uͤberfallenen Jahrmarkt ſchildern; auch
dieſer Aufſatz ſpann ſich mir ſehr lang aus, ſteckte
aber ſo voller Poſſen, daß ich ihn ſo wenig ein¬
gab, wie jene Ferienreiſe. Der Lehrer fragte
aber gar nicht darnach, weil er wußte, daß ich
Alles konnte, was er von dieſer Klaſſe verlangte,
und da ich mich ſonſt ſtill hielt, ließ er mich
gaͤnzlich in Ruhe und that als ob ich nicht da
waͤre, ſo daß ich waͤhrend ſeiner Stunden immer
las. Gelegentlich wurde ich etwa aufgerufen, um
irgend einen lateiniſchen Ausdruck der Grammatik
zu ſagen; dieſe hatte ich aber laͤngſt vergeſſen,
und kenne ſie auch jetzt nicht, weil ich ohne ſie
oder vielmehr neben ihr vorbei ſchreiben gelernt
hatte. Doch der Lehrer hielt mein Schweigen fuͤr
Vorſaͤtzlichkeit und war froh, mich gelinde be¬
ſtrafen zu koͤnnen, um mich nicht zu ſtolz werden
zu laſſen.
Er war ein Schoͤngeiſt und diktirte uns dann
und wann als Leckerbiſſen eine Stelle aus einem
deutſchen Klaſſiker, welche fuͤr uns zugaͤnglich war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/373>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.