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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Solche Bruchstücke ließen mich das Untaugliche
alles übrigen Treibens lebhaft fühlen; ich schrieb
sie sorglich in's Reine, las sie wieder und arbeitete
sogleich in dem betreffenden Style. In der Schule
sah ich voll Sehnsucht auf die schöngebundenen
Bücher, die der kühle Mann mitbrachte, und
nahm mir fest vor, diesmal zu ihm zu gehen,
wenn er mich etwa einladen würde, wie der Ver¬
storbene. Er starb indessen auch, ohne es je ge¬
than zu haben; entweder liebte er dergleichen nicht
oder war überzeugt, daß ich für einmal genug
Deutsch verstände.

Nicht so gut erging es mir mit dem übrigen
Lernen. In allen Schulen, wo kein Latein ge¬
trieben wird, betrachtet man den Unterricht als
einen Dampf, der möglichst rasch durch das Ge¬
hirn der Jugend gejagt werden müsse, um wieder
zu verfliegen. Dies Ein Mal und nie wieder
Hören der Gegenstände, dies regelmäßige und
vollkommene Vergessen dessen, was die einzelnen
Naturen in den Jahren des Unverstandes nicht
ansprach und was sie später doch so gerne wissen
möchten, hat etwas Grauenhaftes in sich; es ist,

Solche Bruchſtuͤcke ließen mich das Untaugliche
alles uͤbrigen Treibens lebhaft fuͤhlen; ich ſchrieb
ſie ſorglich in's Reine, las ſie wieder und arbeitete
ſogleich in dem betreffenden Style. In der Schule
ſah ich voll Sehnſucht auf die ſchoͤngebundenen
Buͤcher, die der kuͤhle Mann mitbrachte, und
nahm mir feſt vor, diesmal zu ihm zu gehen,
wenn er mich etwa einladen wuͤrde, wie der Ver¬
ſtorbene. Er ſtarb indeſſen auch, ohne es je ge¬
than zu haben; entweder liebte er dergleichen nicht
oder war uͤberzeugt, daß ich fuͤr einmal genug
Deutſch verſtaͤnde.

Nicht ſo gut erging es mir mit dem uͤbrigen
Lernen. In allen Schulen, wo kein Latein ge¬
trieben wird, betrachtet man den Unterricht als
einen Dampf, der moͤglichſt raſch durch das Ge¬
hirn der Jugend gejagt werden muͤſſe, um wieder
zu verfliegen. Dies Ein Mal und nie wieder
Hoͤren der Gegenſtaͤnde, dies regelmaͤßige und
vollkommene Vergeſſen deſſen, was die einzelnen
Naturen in den Jahren des Unverſtandes nicht
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[360/0374] Solche Bruchſtuͤcke ließen mich das Untaugliche alles uͤbrigen Treibens lebhaft fuͤhlen; ich ſchrieb ſie ſorglich in's Reine, las ſie wieder und arbeitete ſogleich in dem betreffenden Style. In der Schule ſah ich voll Sehnſucht auf die ſchoͤngebundenen Buͤcher, die der kuͤhle Mann mitbrachte, und nahm mir feſt vor, diesmal zu ihm zu gehen, wenn er mich etwa einladen wuͤrde, wie der Ver¬ ſtorbene. Er ſtarb indeſſen auch, ohne es je ge¬ than zu haben; entweder liebte er dergleichen nicht oder war uͤberzeugt, daß ich fuͤr einmal genug Deutſch verſtaͤnde. Nicht ſo gut erging es mir mit dem uͤbrigen Lernen. In allen Schulen, wo kein Latein ge¬ trieben wird, betrachtet man den Unterricht als einen Dampf, der moͤglichſt raſch durch das Ge¬ hirn der Jugend gejagt werden muͤſſe, um wieder zu verfliegen. Dies Ein Mal und nie wieder Hoͤren der Gegenſtaͤnde, dies regelmaͤßige und vollkommene Vergeſſen deſſen, was die einzelnen Naturen in den Jahren des Unverſtandes nicht anſprach und was ſie ſpaͤter doch ſo gerne wiſſen moͤchten, hat etwas Grauenhaftes in ſich; es iſt,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/374>, abgerufen am 22.11.2024.