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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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mit seinen ewig wechselnden Bewohnern wieder
auf der Straße, eine Anhöhe hinan und der küh¬
len Nacht entgegen. Heinrich schaute fortwährend
zurück nach Süden; rein, wie seine schuldlose
Jugend, ruhte die Luft auf den Gebirgszügen
seiner Heimath, aber diese waren ihm in ihrer
jetzigen Gestalt fast ebenso fremd, wie die
Schwarzwaldhöhen im dämmernden Norden, de¬
nen er sich allmälig näherte, und über welchen
röthliche Wolkengebilde einen räthselhaften Vor¬
hang vor das deutsche Land zogen.

Fern hinter dem Wagen sah er seinen jungen
Nachbar den Hügel hinankeuchen, noch kaum er¬
kennbar mit seinem schweren Felleisen. Ueber
denselben hinweg gleiteten Heinrichs Augen noch
einmal nach dem südlichen Horizonte; er suchte
diejenige Stelle am Himmel, welche über seiner
Stadt, ja über seinem Hause liegen mochte und
fand sie freilich nicht. Desto deutlicher hingegen
sah er nun, als er sich in den Wagen zurückleh¬
nend die Augen schloß, die mütterliche Wohnstube
mit allen ihren Gegenständen, er sah seine Mut¬
ter einsam umher gehen, ihr Abendbrot bereitend,

mit ſeinen ewig wechſelnden Bewohnern wieder
auf der Straße, eine Anhoͤhe hinan und der kuͤh¬
len Nacht entgegen. Heinrich ſchaute fortwaͤhrend
zuruͤck nach Suͤden; rein, wie ſeine ſchuldloſe
Jugend, ruhte die Luft auf den Gebirgszuͤgen
ſeiner Heimath, aber dieſe waren ihm in ihrer
jetzigen Geſtalt faſt ebenſo fremd, wie die
Schwarzwaldhoͤhen im daͤmmernden Norden, de¬
nen er ſich allmaͤlig naͤherte, und uͤber welchen
roͤthliche Wolkengebilde einen raͤthſelhaften Vor¬
hang vor das deutſche Land zogen.

Fern hinter dem Wagen ſah er ſeinen jungen
Nachbar den Huͤgel hinankeuchen, noch kaum er¬
kennbar mit ſeinem ſchweren Felleiſen. Ueber
denſelben hinweg gleiteten Heinrichs Augen noch
einmal nach dem ſuͤdlichen Horizonte; er ſuchte
diejenige Stelle am Himmel, welche uͤber ſeiner
Stadt, ja uͤber ſeinem Hauſe liegen mochte und
fand ſie freilich nicht. Deſto deutlicher hingegen
ſah er nun, als er ſich in den Wagen zuruͤckleh¬
nend die Augen ſchloß, die muͤtterliche Wohnſtube
mit allen ihren Gegenſtaͤnden, er ſah ſeine Mut¬
ter einſam umher gehen, ihr Abendbrot bereitend,

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[46/0060] mit ſeinen ewig wechſelnden Bewohnern wieder auf der Straße, eine Anhoͤhe hinan und der kuͤh¬ len Nacht entgegen. Heinrich ſchaute fortwaͤhrend zuruͤck nach Suͤden; rein, wie ſeine ſchuldloſe Jugend, ruhte die Luft auf den Gebirgszuͤgen ſeiner Heimath, aber dieſe waren ihm in ihrer jetzigen Geſtalt faſt ebenſo fremd, wie die Schwarzwaldhoͤhen im daͤmmernden Norden, de¬ nen er ſich allmaͤlig naͤherte, und uͤber welchen roͤthliche Wolkengebilde einen raͤthſelhaften Vor¬ hang vor das deutſche Land zogen. Fern hinter dem Wagen ſah er ſeinen jungen Nachbar den Huͤgel hinankeuchen, noch kaum er¬ kennbar mit ſeinem ſchweren Felleiſen. Ueber denſelben hinweg gleiteten Heinrichs Augen noch einmal nach dem ſuͤdlichen Horizonte; er ſuchte diejenige Stelle am Himmel, welche uͤber ſeiner Stadt, ja uͤber ſeinem Hauſe liegen mochte und fand ſie freilich nicht. Deſto deutlicher hingegen ſah er nun, als er ſich in den Wagen zuruͤckleh¬ nend die Augen ſchloß, die muͤtterliche Wohnſtube mit allen ihren Gegenſtaͤnden, er ſah ſeine Mut¬ ter einſam umher gehen, ihr Abendbrot bereitend,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/60>, abgerufen am 21.11.2024.