vielleicht am wenigsten im Fall, mit Ihnen zu streiten. Und was führt Sie denn, wenn ich fragen darf, nach unserm monarchischen Deutsch¬ land? Dem Anscheine nach sind Sie entweder Student oder ein junger Künstler?"
"Beides zusammen, wenn Sie wollen! letzte¬ res im engeren Sinne, ersteres überhaupt, inso¬ fern ich mir in der Mitte meines großen Stamm¬ volkes selbst seine geistigen Errungenschaften an¬ eignen und diejenigen allgemeinen Grundlagen und Anschauungen erwerben möchte, welche nur bei großen Sprachgenossenschaften zu finden sind, und ohne welche es der Einzelne zu nichts Gan¬ zem und Höherem bringen kann."
"Wie, Eure schweizerische Nationalität genügt Euch also doch nicht für den Hausgebrauch in allen Dingen? Sie gibt Euch keine Ideen für ein höheres Bedürfniß?"
"Jedes Ding hat zwei Seiten, mein Herr! und, wie ich glaube, auch die Nationalität oder was man so nennen mag. Man kann ein sehr guter Hausvater, ein anhänglicher, pflichtgetreuer Sohn sein und doch das entsprechende Gebiet für
vielleicht am wenigſten im Fall, mit Ihnen zu ſtreiten. Und was fuͤhrt Sie denn, wenn ich fragen darf, nach unſerm monarchiſchen Deutſch¬ land? Dem Anſcheine nach ſind Sie entweder Student oder ein junger Kuͤnſtler?«
»Beides zuſammen, wenn Sie wollen! letzte¬ res im engeren Sinne, erſteres uͤberhaupt, inſo¬ fern ich mir in der Mitte meines großen Stamm¬ volkes ſelbſt ſeine geiſtigen Errungenſchaften an¬ eignen und diejenigen allgemeinen Grundlagen und Anſchauungen erwerben moͤchte, welche nur bei großen Sprachgenoſſenſchaften zu finden ſind, und ohne welche es der Einzelne zu nichts Gan¬ zem und Hoͤherem bringen kann.«
»Wie, Eure ſchweizeriſche Nationalitaͤt genuͤgt Euch alſo doch nicht fuͤr den Hausgebrauch in allen Dingen? Sie gibt Euch keine Ideen fuͤr ein hoͤheres Beduͤrfniß?«
»Jedes Ding hat zwei Seiten, mein Herr! und, wie ich glaube, auch die Nationalitaͤt oder was man ſo nennen mag. Man kann ein ſehr guter Hausvater, ein anhaͤnglicher, pflichtgetreuer Sohn ſein und doch das entſprechende Gebiet fuͤr
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[75/0089]
vielleicht am wenigſten im Fall, mit Ihnen zu
ſtreiten. Und was fuͤhrt Sie denn, wenn ich
fragen darf, nach unſerm monarchiſchen Deutſch¬
land? Dem Anſcheine nach ſind Sie entweder
Student oder ein junger Kuͤnſtler?«
»Beides zuſammen, wenn Sie wollen! letzte¬
res im engeren Sinne, erſteres uͤberhaupt, inſo¬
fern ich mir in der Mitte meines großen Stamm¬
volkes ſelbſt ſeine geiſtigen Errungenſchaften an¬
eignen und diejenigen allgemeinen Grundlagen
und Anſchauungen erwerben moͤchte, welche nur
bei großen Sprachgenoſſenſchaften zu finden ſind,
und ohne welche es der Einzelne zu nichts Gan¬
zem und Hoͤherem bringen kann.«
»Wie, Eure ſchweizeriſche Nationalitaͤt genuͤgt
Euch alſo doch nicht fuͤr den Hausgebrauch in
allen Dingen? Sie gibt Euch keine Ideen fuͤr ein
hoͤheres Beduͤrfniß?«
»Jedes Ding hat zwei Seiten, mein Herr!
und, wie ich glaube, auch die Nationalitaͤt oder
was man ſo nennen mag. Man kann ein ſehr
guter Hausvater, ein anhaͤnglicher, pflichtgetreuer
Sohn ſein und doch das entſprechende Gebiet fuͤr
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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