blumen und eine brennendrothe Mohnblüthe lagen; der Nachtkühle wegen brachte die Muhme einen prachtvollen weißen Staatsshawl aus alter Zeit mit Astern und Rosen besäet, den man um ihr blaues, halb ländliches Kleid schlug, daß sie mit ihren Goldhaaren und dem feinen Gesichtchen aussah, wie eine junge Engländerin aus den neunziger Jahren. So wandte sie sich nun an¬ scheinend ganz ruhig zum Gehen, gewärtig, wer sie begleiten würde, aber sich deswegen nicht un¬ entschlossen aufhaltend. Sie lächelte, durch den Muthwillen der Basen belebt und gedeckt, über meine Ungeschicklichkeit, ohne sich nach mir umzu¬ blicken, und vermehrte so meine Verlegenheit, da ich gegenüber den zusammenhaltenden und ver¬ schworenen Mädchen allein dastand und fast Wil¬ lens war, im Saale zurückzubleiben. Doch er¬ barmte sich die älteste Base meiner und rief mich noch einmal entschieden heran, so daß es mit meiner Ehre verträglich war, mich wenigstens dem Zuge anzuschließen, der sich vor das Haus bewegte. Wir gingen gemeinschaftlich bis an das Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, über
blumen und eine brennendrothe Mohnbluͤthe lagen; der Nachtkuͤhle wegen brachte die Muhme einen prachtvollen weißen Staatsſhawl aus alter Zeit mit Aſtern und Roſen beſaͤet, den man um ihr blaues, halb laͤndliches Kleid ſchlug, daß ſie mit ihren Goldhaaren und dem feinen Geſichtchen ausſah, wie eine junge Englaͤnderin aus den neunziger Jahren. So wandte ſie ſich nun an¬ ſcheinend ganz ruhig zum Gehen, gewaͤrtig, wer ſie begleiten wuͤrde, aber ſich deswegen nicht un¬ entſchloſſen aufhaltend. Sie laͤchelte, durch den Muthwillen der Baſen belebt und gedeckt, uͤber meine Ungeſchicklichkeit, ohne ſich nach mir umzu¬ blicken, und vermehrte ſo meine Verlegenheit, da ich gegenuͤber den zuſammenhaltenden und ver¬ ſchworenen Maͤdchen allein daſtand und faſt Wil¬ lens war, im Saale zuruͤckzubleiben. Doch er¬ barmte ſich die aͤlteſte Baſe meiner und rief mich noch einmal entſchieden heran, ſo daß es mit meiner Ehre vertraͤglich war, mich wenigſtens dem Zuge anzuſchließen, der ſich vor das Haus bewegte. Wir gingen gemeinſchaftlich bis an das Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, uͤber
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0112"n="102"/>
blumen und eine brennendrothe Mohnbluͤthe<lb/>
lagen; der Nachtkuͤhle wegen brachte die Muhme<lb/>
einen prachtvollen weißen Staatsſhawl aus alter<lb/>
Zeit mit Aſtern und Roſen beſaͤet, den man um<lb/>
ihr blaues, halb laͤndliches Kleid ſchlug, daß ſie<lb/>
mit ihren Goldhaaren und dem feinen Geſichtchen<lb/>
ausſah, wie eine junge Englaͤnderin aus den<lb/>
neunziger Jahren. So wandte ſie ſich nun an¬<lb/>ſcheinend ganz ruhig zum Gehen, gewaͤrtig, wer<lb/>ſie begleiten wuͤrde, aber ſich deswegen nicht un¬<lb/>
entſchloſſen aufhaltend. Sie laͤchelte, durch den<lb/>
Muthwillen der Baſen belebt und gedeckt, uͤber<lb/>
meine Ungeſchicklichkeit, ohne ſich nach mir umzu¬<lb/>
blicken, und vermehrte ſo meine Verlegenheit, da<lb/>
ich gegenuͤber den zuſammenhaltenden und ver¬<lb/>ſchworenen Maͤdchen allein daſtand und faſt Wil¬<lb/>
lens war, im Saale zuruͤckzubleiben. Doch er¬<lb/>
barmte ſich die aͤlteſte Baſe meiner und rief mich<lb/>
noch einmal entſchieden heran, ſo daß es mit<lb/>
meiner Ehre vertraͤglich war, mich wenigſtens<lb/>
dem Zuge anzuſchließen, der ſich vor das Haus<lb/>
bewegte. Wir gingen gemeinſchaftlich bis an das<lb/>
Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, uͤber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[102/0112]
blumen und eine brennendrothe Mohnbluͤthe
lagen; der Nachtkuͤhle wegen brachte die Muhme
einen prachtvollen weißen Staatsſhawl aus alter
Zeit mit Aſtern und Roſen beſaͤet, den man um
ihr blaues, halb laͤndliches Kleid ſchlug, daß ſie
mit ihren Goldhaaren und dem feinen Geſichtchen
ausſah, wie eine junge Englaͤnderin aus den
neunziger Jahren. So wandte ſie ſich nun an¬
ſcheinend ganz ruhig zum Gehen, gewaͤrtig, wer
ſie begleiten wuͤrde, aber ſich deswegen nicht un¬
entſchloſſen aufhaltend. Sie laͤchelte, durch den
Muthwillen der Baſen belebt und gedeckt, uͤber
meine Ungeſchicklichkeit, ohne ſich nach mir umzu¬
blicken, und vermehrte ſo meine Verlegenheit, da
ich gegenuͤber den zuſammenhaltenden und ver¬
ſchworenen Maͤdchen allein daſtand und faſt Wil¬
lens war, im Saale zuruͤckzubleiben. Doch er¬
barmte ſich die aͤlteſte Baſe meiner und rief mich
noch einmal entſchieden heran, ſo daß es mit
meiner Ehre vertraͤglich war, mich wenigſtens
dem Zuge anzuſchließen, der ſich vor das Haus
bewegte. Wir gingen gemeinſchaftlich bis an das
Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, uͤber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/112>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.