Hause und gingen weg, ihn beim Oheim aufzu¬ suchen. Es war Dämmerung draußen und die allerschönste Nacht brach an. Als wir auf den Kirchhof kamen, lag das frische Grab einsam und schweigend, vom aufgehenden goldfarbenen Monde bestreift. Wir standen vor dem braunen, nach feuchter Erde duftenden Hügel und hielten uns umfangen, zwei Nachtfalter flatterten durch die Büsche, die vielen Blüthen gaben einen mäch¬ tigen Duft und Anna athmete erst jetzt schnell und stark. Wir gingen zwischen den Gräbern umher, für dasjenige der Großmutter einen Strauß zu sammeln, und geriethen dabei, im tiefen thauigen Grase wandelnd, in die verworrenen Schatten der üppigen Grabgesträuche. Da und dort blinkte eine matte goldene Schrift aus dem Dunkel oder leuchtete ein Busch weißer Rosen wie Schnee hervor, Anna brach, da hier von abgegränztem Eigenthume nicht die Rede war, ihr aufgeschürztes schwarzes Kleid ganz voll wei¬ ßer und rother Rosen, und als sie, damit beladen und beide Hände beschäftigt, mit dem Köpfchen sich in den Zweigen eines dichten dunklen Hol¬
Hauſe und gingen weg, ihn beim Oheim aufzu¬ ſuchen. Es war Daͤmmerung draußen und die allerſchoͤnſte Nacht brach an. Als wir auf den Kirchhof kamen, lag das friſche Grab einſam und ſchweigend, vom aufgehenden goldfarbenen Monde beſtreift. Wir ſtanden vor dem braunen, nach feuchter Erde duftenden Huͤgel und hielten uns umfangen, zwei Nachtfalter flatterten durch die Buͤſche, die vielen Bluͤthen gaben einen maͤch¬ tigen Duft und Anna athmete erſt jetzt ſchnell und ſtark. Wir gingen zwiſchen den Graͤbern umher, fuͤr dasjenige der Großmutter einen Strauß zu ſammeln, und geriethen dabei, im tiefen thauigen Graſe wandelnd, in die verworrenen Schatten der uͤppigen Grabgeſtraͤuche. Da und dort blinkte eine matte goldene Schrift aus dem Dunkel oder leuchtete ein Buſch weißer Roſen wie Schnee hervor, Anna brach, da hier von abgegraͤnztem Eigenthume nicht die Rede war, ihr aufgeſchuͤrztes ſchwarzes Kleid ganz voll wei¬ ßer und rother Roſen, und als ſie, damit beladen und beide Haͤnde beſchaͤftigt, mit dem Koͤpfchen ſich in den Zweigen eines dichten dunklen Hol¬
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Hauſe und gingen weg, ihn beim Oheim aufzu¬
ſuchen. Es war Daͤmmerung draußen und die
allerſchoͤnſte Nacht brach an. Als wir auf den
Kirchhof kamen, lag das friſche Grab einſam
und ſchweigend, vom aufgehenden goldfarbenen
Monde beſtreift. Wir ſtanden vor dem braunen,
nach feuchter Erde duftenden Huͤgel und hielten
uns umfangen, zwei Nachtfalter flatterten durch
die Buͤſche, die vielen Bluͤthen gaben einen maͤch¬
tigen Duft und Anna athmete erſt jetzt ſchnell
und ſtark. Wir gingen zwiſchen den Graͤbern
umher, fuͤr dasjenige der Großmutter einen Strauß
zu ſammeln, und geriethen dabei, im tiefen
thauigen Graſe wandelnd, in die verworrenen
Schatten der uͤppigen Grabgeſtraͤuche. Da und
dort blinkte eine matte goldene Schrift aus dem
Dunkel oder leuchtete ein Buſch weißer Roſen
wie Schnee hervor, Anna brach, da hier von
abgegraͤnztem Eigenthume nicht die Rede war,
ihr aufgeſchuͤrztes ſchwarzes Kleid ganz voll wei¬
ßer und rother Roſen, und als ſie, damit beladen
und beide Haͤnde beſchaͤftigt, mit dem Koͤpfchen
ſich in den Zweigen eines dichten dunklen Hol¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/153>, abgerufen am 23.11.2024.
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