Juwelenkästchen aussah, dessen Kleinod ich nicht verfehlte mir hineinzudenken.
Wenn ich nach malerischen Gegenständen um¬ herstreifte, so suchte ich vorzüglich die Stellen auf, wo ich mit Anna geweilt hatte; so war die geheimnißvolle Felswand am Wasser, wo ich mit ihr geruhet und jene Erscheinung gesehen, schon von mir gezeichnet worden, und ich konnte mich nun nicht enthalten, auf der schneeweißen Wand des Kämmerchens ein sauberes Viereck zu ziehen und das Bild mit der Heidenstube so gut ich konnte hineinzumalen. Dies sollte ein stiller Gruß für sie sein und ihr später bezeugen, wie bestän¬ dig ich an sie gedacht.
Diese fortwährende Erinnerung an sie und ihre Abwesenheit machten mich in's Geheim im¬ mer kecker und vertraulicher mit ihrem Bilde; ich begann lange Liebesbriefe an sie zu schreiben, die ich zuerst verbrannte, dann aufbewahrte, und zuletzt ward ich so verwegen, Alles, was ich für Anna fühlte, auf ein offenes Blatt zu schreiben, in den heftigsten Ausdrücken, mit Vorsetzung ihres vollen Namens und Unterschrift des meinigen,
II. 13
Juwelenkaͤſtchen ausſah, deſſen Kleinod ich nicht verfehlte mir hineinzudenken.
Wenn ich nach maleriſchen Gegenſtaͤnden um¬ herſtreifte, ſo ſuchte ich vorzuͤglich die Stellen auf, wo ich mit Anna geweilt hatte; ſo war die geheimnißvolle Felswand am Waſſer, wo ich mit ihr geruhet und jene Erſcheinung geſehen, ſchon von mir gezeichnet worden, und ich konnte mich nun nicht enthalten, auf der ſchneeweißen Wand des Kaͤmmerchens ein ſauberes Viereck zu ziehen und das Bild mit der Heidenſtube ſo gut ich konnte hineinzumalen. Dies ſollte ein ſtiller Gruß fuͤr ſie ſein und ihr ſpaͤter bezeugen, wie beſtaͤn¬ dig ich an ſie gedacht.
Dieſe fortwaͤhrende Erinnerung an ſie und ihre Abweſenheit machten mich in's Geheim im¬ mer kecker und vertraulicher mit ihrem Bilde; ich begann lange Liebesbriefe an ſie zu ſchreiben, die ich zuerſt verbrannte, dann aufbewahrte, und zuletzt ward ich ſo verwegen, Alles, was ich fuͤr Anna fuͤhlte, auf ein offenes Blatt zu ſchreiben, in den heftigſten Ausdruͤcken, mit Vorſetzung ihres vollen Namens und Unterſchrift des meinigen,
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Juwelenkaͤſtchen ausſah, deſſen Kleinod ich nicht
verfehlte mir hineinzudenken.
Wenn ich nach maleriſchen Gegenſtaͤnden um¬
herſtreifte, ſo ſuchte ich vorzuͤglich die Stellen
auf, wo ich mit Anna geweilt hatte; ſo war die
geheimnißvolle Felswand am Waſſer, wo ich mit
ihr geruhet und jene Erſcheinung geſehen, ſchon
von mir gezeichnet worden, und ich konnte mich
nun nicht enthalten, auf der ſchneeweißen Wand
des Kaͤmmerchens ein ſauberes Viereck zu ziehen
und das Bild mit der Heidenſtube ſo gut ich
konnte hineinzumalen. Dies ſollte ein ſtiller Gruß
fuͤr ſie ſein und ihr ſpaͤter bezeugen, wie beſtaͤn¬
dig ich an ſie gedacht.
Dieſe fortwaͤhrende Erinnerung an ſie und
ihre Abweſenheit machten mich in's Geheim im¬
mer kecker und vertraulicher mit ihrem Bilde;
ich begann lange Liebesbriefe an ſie zu ſchreiben,
die ich zuerſt verbrannte, dann aufbewahrte, und
zuletzt ward ich ſo verwegen, Alles, was ich fuͤr
Anna fuͤhlte, auf ein offenes Blatt zu ſchreiben,
in den heftigſten Ausdruͤcken, mit Vorſetzung ihres
vollen Namens und Unterſchrift des meinigen,
II. 13
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/203>, abgerufen am 23.11.2024.
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