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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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und dies Blatt auf das Flüßchen zu legen, daß
es vor aller Welt hinabtrieb, dem Rheine und
dem Meere zu, wie ich kindischerweise dachte.
Ich kämpfte lange mit diesem Vorsatze, allein ich
unterlag zuletzt; denn es war eine befreiende That
für mich und ein Bekenntniß meines Geheimnis¬
ses, wobei ich freilich voraussetzte, daß es in
nächster Nähe Niemand finden würde. Ich sah,
wie es gemächlich von Welle zu Welle schlüpfte,
hier von einer überhängenden Staude aufgehalten
wurde, dann lange an einer Blume hing, bis
es sich nach langem Besinnen losriß; zuletzt kam
es in Schuß und schwamm flott dahin, daß ich
es aus den Augen verlor. Allein der Brief
mußte sich später doch wieder irgendwo gesäumt
haben, denn erst tief in der Nacht gelangte er zu
der Felswand der Heidenstube, an die Brust
einer badenden Frau, welche niemand anders als
Judith war, die ihn auffing, las und aufbe¬
wahrte.

Dies erfuhr ich erst später, denn während
meines jetzigen Aufenthaltes im Dorfe ging ich
nie in ihr Haus und vermied den Weg desselben

und dies Blatt auf das Fluͤßchen zu legen, daß
es vor aller Welt hinabtrieb, dem Rheine und
dem Meere zu, wie ich kindiſcherweiſe dachte.
Ich kaͤmpfte lange mit dieſem Vorſatze, allein ich
unterlag zuletzt; denn es war eine befreiende That
fuͤr mich und ein Bekenntniß meines Geheimniſ¬
ſes, wobei ich freilich vorausſetzte, daß es in
naͤchſter Naͤhe Niemand finden wuͤrde. Ich ſah,
wie es gemaͤchlich von Welle zu Welle ſchluͤpfte,
hier von einer uͤberhaͤngenden Staude aufgehalten
wurde, dann lange an einer Blume hing, bis
es ſich nach langem Beſinnen losriß; zuletzt kam
es in Schuß und ſchwamm flott dahin, daß ich
es aus den Augen verlor. Allein der Brief
mußte ſich ſpaͤter doch wieder irgendwo geſaͤumt
haben, denn erſt tief in der Nacht gelangte er zu
der Felswand der Heidenſtube, an die Bruſt
einer badenden Frau, welche niemand anders als
Judith war, die ihn auffing, las und aufbe¬
wahrte.

Dies erfuhr ich erſt ſpaͤter, denn waͤhrend
meines jetzigen Aufenthaltes im Dorfe ging ich
nie in ihr Haus und vermied den Weg deſſelben

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[194/0204] und dies Blatt auf das Fluͤßchen zu legen, daß es vor aller Welt hinabtrieb, dem Rheine und dem Meere zu, wie ich kindiſcherweiſe dachte. Ich kaͤmpfte lange mit dieſem Vorſatze, allein ich unterlag zuletzt; denn es war eine befreiende That fuͤr mich und ein Bekenntniß meines Geheimniſ¬ ſes, wobei ich freilich vorausſetzte, daß es in naͤchſter Naͤhe Niemand finden wuͤrde. Ich ſah, wie es gemaͤchlich von Welle zu Welle ſchluͤpfte, hier von einer uͤberhaͤngenden Staude aufgehalten wurde, dann lange an einer Blume hing, bis es ſich nach langem Beſinnen losriß; zuletzt kam es in Schuß und ſchwamm flott dahin, daß ich es aus den Augen verlor. Allein der Brief mußte ſich ſpaͤter doch wieder irgendwo geſaͤumt haben, denn erſt tief in der Nacht gelangte er zu der Felswand der Heidenſtube, an die Bruſt einer badenden Frau, welche niemand anders als Judith war, die ihn auffing, las und aufbe¬ wahrte. Dies erfuhr ich erſt ſpaͤter, denn waͤhrend meines jetzigen Aufenthaltes im Dorfe ging ich nie in ihr Haus und vermied den Weg deſſelben

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/204>, abgerufen am 23.11.2024.