sorgfältig. Das Jahr, um welches ich älter ge¬ worden, ließ mich mit Beschämung auf das ver¬ trauliche Verhältniß von früher zurückblicken und flößte mir eine trotzige Scheu ein vor der kräf¬ tigen und stolzen Gestalt; ich verbarg mich, ohne zu grüßen, rasch, als sie einmal am Hause vorüberging, und sah ihr doch verlangend nach, wenn ich sie von fern durch Gärten und Korn¬ felder schreiten sah. Meine Wünsche, wenn sie aus der Weite ruhlos zurückkehrten, flatterten Obdach suchend hin und her und nisteten sich endlich bei der Judith ein, als ob sie dort ein gutes Wort und das Geheimniß der Liebe er¬ haschen könnten.
Ich kehrte dies Mal früher nach der Stadt zurück mit einer tiefen Sehnsucht im Gemüthe, welche sich nun gänzlich ausgebildet hatte und Alles umfaßte, was mir fehlte und was ich in der Welt doch als vorhanden ahnte.
Mein Lehrer führte mich nun auf die letzten Stufen seiner Kunst, indem er mir die Behand¬ lung seiner Wasserfarben mittheilte und mich mit aller Strenge zu deren sauberer und flinker An¬
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ſorgfaͤltig. Das Jahr, um welches ich aͤlter ge¬ worden, ließ mich mit Beſchaͤmung auf das ver¬ trauliche Verhaͤltniß von fruͤher zuruͤckblicken und floͤßte mir eine trotzige Scheu ein vor der kraͤf¬ tigen und ſtolzen Geſtalt; ich verbarg mich, ohne zu gruͤßen, raſch, als ſie einmal am Hauſe voruͤberging, und ſah ihr doch verlangend nach, wenn ich ſie von fern durch Gaͤrten und Korn¬ felder ſchreiten ſah. Meine Wuͤnſche, wenn ſie aus der Weite ruhlos zuruͤckkehrten, flatterten Obdach ſuchend hin und her und niſteten ſich endlich bei der Judith ein, als ob ſie dort ein gutes Wort und das Geheimniß der Liebe er¬ haſchen koͤnnten.
Ich kehrte dies Mal fruͤher nach der Stadt zuruͤck mit einer tiefen Sehnſucht im Gemuͤthe, welche ſich nun gaͤnzlich ausgebildet hatte und Alles umfaßte, was mir fehlte und was ich in der Welt doch als vorhanden ahnte.
Mein Lehrer fuͤhrte mich nun auf die letzten Stufen ſeiner Kunſt, indem er mir die Behand¬ lung ſeiner Waſſerfarben mittheilte und mich mit aller Strenge zu deren ſauberer und flinker An¬
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ſorgfaͤltig. Das Jahr, um welches ich aͤlter ge¬
worden, ließ mich mit Beſchaͤmung auf das ver¬
trauliche Verhaͤltniß von fruͤher zuruͤckblicken und
floͤßte mir eine trotzige Scheu ein vor der kraͤf¬
tigen und ſtolzen Geſtalt; ich verbarg mich, ohne
zu gruͤßen, raſch, als ſie einmal am Hauſe
voruͤberging, und ſah ihr doch verlangend nach,
wenn ich ſie von fern durch Gaͤrten und Korn¬
felder ſchreiten ſah. Meine Wuͤnſche, wenn ſie
aus der Weite ruhlos zuruͤckkehrten, flatterten
Obdach ſuchend hin und her und niſteten ſich
endlich bei der Judith ein, als ob ſie dort ein
gutes Wort und das Geheimniß der Liebe er¬
haſchen koͤnnten.
Ich kehrte dies Mal fruͤher nach der Stadt
zuruͤck mit einer tiefen Sehnſucht im Gemuͤthe,
welche ſich nun gaͤnzlich ausgebildet hatte und
Alles umfaßte, was mir fehlte und was ich in
der Welt doch als vorhanden ahnte.
Mein Lehrer fuͤhrte mich nun auf die letzten
Stufen ſeiner Kunſt, indem er mir die Behand¬
lung ſeiner Waſſerfarben mittheilte und mich mit
aller Strenge zu deren ſauberer und flinker An¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/205>, abgerufen am 24.11.2024.
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