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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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waren auf's Billigste beschaffen und die Löffel
von Zinn. Nach der Spitze der Tafel zu, wo
der Oheim und die allfälligen Gäste saßen, ver¬
änderte sich die Gestalt dieser Dinge. Dort waren
die Ergebnisse der Jagd oder des Fischfanges
nebst anderen guten Dingen in kleinen Portionen
aufgestellt: denn da die Muhme dem Zubereiten
und Essen solcher Sachen nicht grün war, so
behandelte sie dieselben apothekerhaft und zimpfer¬
lich, gleich einem Grobschmied, der eine Uhr zu¬
sammensetzen will. Auf einem bunten alten Por¬
zellanteller lag hier ein gebratener Vogel, dort
ein Fisch, einige rothe Krebse oder ein feines
Salätchen. Alter starker Wein stand in kleineren
Flaschen, uralte Ziergläser der verschiedensten Form
dabei; die Löffel waren von Silber und das
übrige Besteck bestand aus den Trümmern früherer
Herrlichkeit, hier ein Messer mit einem Elfenbein¬
hefte, dort eine komisch gezackte Gabel mit Email¬
griff. Aus dem Gewimmel dieser Zierlichkeiten
ragte das ungeheure Brot wie ein Berg empor,
als ein mächtiger Ausläufer des unteren Speisen¬
gebirges, dessen Anwohner sich an der Ausschlie߬

waren auf's Billigſte beſchaffen und die Loͤffel
von Zinn. Nach der Spitze der Tafel zu, wo
der Oheim und die allfaͤlligen Gaͤſte ſaßen, ver¬
aͤnderte ſich die Geſtalt dieſer Dinge. Dort waren
die Ergebniſſe der Jagd oder des Fiſchfanges
nebſt anderen guten Dingen in kleinen Portionen
aufgeſtellt: denn da die Muhme dem Zubereiten
und Eſſen ſolcher Sachen nicht gruͤn war, ſo
behandelte ſie dieſelben apothekerhaft und zimpfer¬
lich, gleich einem Grobſchmied, der eine Uhr zu¬
ſammenſetzen will. Auf einem bunten alten Por¬
zellanteller lag hier ein gebratener Vogel, dort
ein Fiſch, einige rothe Krebſe oder ein feines
Salaͤtchen. Alter ſtarker Wein ſtand in kleineren
Flaſchen, uralte Zierglaͤſer der verſchiedenſten Form
dabei; die Loͤffel waren von Silber und das
uͤbrige Beſteck beſtand aus den Truͤmmern fruͤherer
Herrlichkeit, hier ein Meſſer mit einem Elfenbein¬
hefte, dort eine komiſch gezackte Gabel mit Email¬
griff. Aus dem Gewimmel dieſer Zierlichkeiten
ragte das ungeheure Brot wie ein Berg empor,
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[240/0250] waren auf's Billigſte beſchaffen und die Loͤffel von Zinn. Nach der Spitze der Tafel zu, wo der Oheim und die allfaͤlligen Gaͤſte ſaßen, ver¬ aͤnderte ſich die Geſtalt dieſer Dinge. Dort waren die Ergebniſſe der Jagd oder des Fiſchfanges nebſt anderen guten Dingen in kleinen Portionen aufgeſtellt: denn da die Muhme dem Zubereiten und Eſſen ſolcher Sachen nicht gruͤn war, ſo behandelte ſie dieſelben apothekerhaft und zimpfer¬ lich, gleich einem Grobſchmied, der eine Uhr zu¬ ſammenſetzen will. Auf einem bunten alten Por¬ zellanteller lag hier ein gebratener Vogel, dort ein Fiſch, einige rothe Krebſe oder ein feines Salaͤtchen. Alter ſtarker Wein ſtand in kleineren Flaſchen, uralte Zierglaͤſer der verſchiedenſten Form dabei; die Loͤffel waren von Silber und das uͤbrige Beſteck beſtand aus den Truͤmmern fruͤherer Herrlichkeit, hier ein Meſſer mit einem Elfenbein¬ hefte, dort eine komiſch gezackte Gabel mit Email¬ griff. Aus dem Gewimmel dieſer Zierlichkeiten ragte das ungeheure Brot wie ein Berg empor, als ein maͤchtiger Auslaͤufer des unteren Speiſen¬ gebirges, deſſen Anwohner ſich an der Ausſchlie߬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/250>, abgerufen am 23.11.2024.