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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Flanken. Was aber die Meinung der Fremden
betrifft (hier wandte er sich wieder mehr an
mich), so werdet ihr einst auf euren Reisen ler¬
nen, weniger darauf zu achten. Man macht den
Engländern und den Amerikanern die gleichen
Vorwürfe der Engherzigkeit, des Eigennutzes;
uns, die wir als kleine Schaar unter den Tad¬
lern leben, hängt man scharfsinniger Weise noch
die Kleinlichkeit an; wenn ihr aber einst die
Gränzen überschreitet, so werdet ihr erleben, daß
der große Sinn nicht mit den Quadratmeilen zu¬
nimmt, und wo etwas dergleichen in den Lüften
zu schweben scheint, es eigentlich nur ein trüge¬
rischer Wolkenmantel der Unentschlossenheit und
der Verzweiflung ist.

Nach dieser Rede schüttelte uns der Statt¬
halter die Hände und entfernte sich. Ich war
indessen nicht überzeugt worden, so wenig als
dem Schulmeister die Wendung des Gesprächs zu
behagen schien. Doch kamen wir darin überein,
daß er ein liebenswürdiger und kluger Mann
sei, und indem ich ihm, mich durch seine Ansprache
geehrt fühlend, wohlwollend nachblickte, pries ich

Flanken. Was aber die Meinung der Fremden
betrifft (hier wandte er ſich wieder mehr an
mich), ſo werdet ihr einſt auf euren Reiſen ler¬
nen, weniger darauf zu achten. Man macht den
Englaͤndern und den Amerikanern die gleichen
Vorwuͤrfe der Engherzigkeit, des Eigennutzes;
uns, die wir als kleine Schaar unter den Tad¬
lern leben, haͤngt man ſcharfſinniger Weiſe noch
die Kleinlichkeit an; wenn ihr aber einſt die
Graͤnzen uͤberſchreitet, ſo werdet ihr erleben, daß
der große Sinn nicht mit den Quadratmeilen zu¬
nimmt, und wo etwas dergleichen in den Luͤften
zu ſchweben ſcheint, es eigentlich nur ein truͤge¬
riſcher Wolkenmantel der Unentſchloſſenheit und
der Verzweiflung iſt.

Nach dieſer Rede ſchuͤttelte uns der Statt¬
halter die Haͤnde und entfernte ſich. Ich war
indeſſen nicht uͤberzeugt worden, ſo wenig als
dem Schulmeiſter die Wendung des Geſpraͤchs zu
behagen ſchien. Doch kamen wir darin uͤberein,
daß er ein liebenswuͤrdiger und kluger Mann
ſei, und indem ich ihm, mich durch ſeine Anſprache
geehrt fuͤhlend, wohlwollend nachblickte, pries ich

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[394/0404] Flanken. Was aber die Meinung der Fremden betrifft (hier wandte er ſich wieder mehr an mich), ſo werdet ihr einſt auf euren Reiſen ler¬ nen, weniger darauf zu achten. Man macht den Englaͤndern und den Amerikanern die gleichen Vorwuͤrfe der Engherzigkeit, des Eigennutzes; uns, die wir als kleine Schaar unter den Tad¬ lern leben, haͤngt man ſcharfſinniger Weiſe noch die Kleinlichkeit an; wenn ihr aber einſt die Graͤnzen uͤberſchreitet, ſo werdet ihr erleben, daß der große Sinn nicht mit den Quadratmeilen zu¬ nimmt, und wo etwas dergleichen in den Luͤften zu ſchweben ſcheint, es eigentlich nur ein truͤge¬ riſcher Wolkenmantel der Unentſchloſſenheit und der Verzweiflung iſt. Nach dieſer Rede ſchuͤttelte uns der Statt¬ halter die Haͤnde und entfernte ſich. Ich war indeſſen nicht uͤberzeugt worden, ſo wenig als dem Schulmeiſter die Wendung des Geſpraͤchs zu behagen ſchien. Doch kamen wir darin uͤberein, daß er ein liebenswuͤrdiger und kluger Mann ſei, und indem ich ihm, mich durch ſeine Anſprache geehrt fuͤhlend, wohlwollend nachblickte, pries ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/404>, abgerufen am 23.11.2024.