Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

schon Deine moralische Jungfernschaft verlo¬
ren! Nun kannst Du Dich in Acht nehmen,
Bürschchen, daß es nicht so fort geht!" Der
drollige Ausdruck, den sie gebrauchte, stellte mir
die Sache noch in ein neues und lächerlich deut¬
liches Licht, daß ich einen großen Aerger empfand
und mich einen ausgesuchten Esel, Laffen und
aufgebläheten Popanz schalt, der sich so blindlings
habe übertölpeln lassen. Judith lachte und rief:
"Denke daran, wenn man am gescheidtesten zu
sein glaubt, so kommt man am ehesten als ein
Esel zum Vorschein!" -- "Du brauchst nicht zu
lachen!" erwiederte ich ärgerlich, "ich habe Dir so
eben, als ich kam, auch einen Tort angethan:
ich habe gefürchtet, daß Du vielleicht einen frem¬
den Mann bei Dir haben könntest!"

Sie gab mir sogleich eine Ohrfeige, doch wie
es mir schien, mehr aus Vergnügen, als aus
Zorn und sagte: "Du bist ein recht unverschämter
Gesell und glaubst wohl, Du brauchst Deine
schändlichen Gedanken nur einzugestehen, um von
mir absolvirt zu sein! Freilich sind es nur die
beschränkten und vernagelten Leute, welche nie

ſchon Deine moraliſche Jungfernſchaft verlo¬
ren! Nun kannſt Du Dich in Acht nehmen,
Buͤrſchchen, daß es nicht ſo fort geht!« Der
drollige Ausdruck, den ſie gebrauchte, ſtellte mir
die Sache noch in ein neues und laͤcherlich deut¬
liches Licht, daß ich einen großen Aerger empfand
und mich einen ausgeſuchten Eſel, Laffen und
aufgeblaͤheten Popanz ſchalt, der ſich ſo blindlings
habe uͤbertoͤlpeln laſſen. Judith lachte und rief:
»Denke daran, wenn man am geſcheidteſten zu
ſein glaubt, ſo kommt man am eheſten als ein
Eſel zum Vorſchein!« — »Du brauchſt nicht zu
lachen!« erwiederte ich aͤrgerlich, »ich habe Dir ſo
eben, als ich kam, auch einen Tort angethan:
ich habe gefuͤrchtet, daß Du vielleicht einen frem¬
den Mann bei Dir haben koͤnnteſt!«

Sie gab mir ſogleich eine Ohrfeige, doch wie
es mir ſchien, mehr aus Vergnuͤgen, als aus
Zorn und ſagte: »Du biſt ein recht unverſchaͤmter
Geſell und glaubſt wohl, Du brauchſt Deine
ſchaͤndlichen Gedanken nur einzugeſtehen, um von
mir abſolvirt zu ſein! Freilich ſind es nur die
beſchraͤnkten und vernagelten Leute, welche nie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="120"/>
&#x017F;chon Deine morali&#x017F;che Jungfern&#x017F;chaft verlo¬<lb/>
ren! Nun kann&#x017F;t Du Dich in Acht nehmen,<lb/>
Bu&#x0364;r&#x017F;chchen, daß es nicht &#x017F;o fort geht!« Der<lb/>
drollige Ausdruck, den &#x017F;ie gebrauchte, &#x017F;tellte mir<lb/>
die Sache noch in ein neues und la&#x0364;cherlich deut¬<lb/>
liches Licht, daß ich einen großen Aerger empfand<lb/>
und mich einen ausge&#x017F;uchten E&#x017F;el, Laffen und<lb/>
aufgebla&#x0364;heten Popanz &#x017F;chalt, der &#x017F;ich &#x017F;o blindlings<lb/>
habe u&#x0364;berto&#x0364;lpeln la&#x017F;&#x017F;en. Judith lachte und rief:<lb/>
»Denke daran, wenn man am ge&#x017F;cheidte&#x017F;ten zu<lb/>
&#x017F;ein glaubt, &#x017F;o kommt man am ehe&#x017F;ten als ein<lb/>
E&#x017F;el zum Vor&#x017F;chein!« &#x2014; »Du brauch&#x017F;t nicht zu<lb/>
lachen!« erwiederte ich a&#x0364;rgerlich, »ich habe Dir &#x017F;o<lb/>
eben, als ich kam, auch einen Tort angethan:<lb/>
ich habe gefu&#x0364;rchtet, daß Du vielleicht einen frem¬<lb/>
den Mann bei Dir haben ko&#x0364;nnte&#x017F;t!«</p><lb/>
        <p>Sie gab mir &#x017F;ogleich eine Ohrfeige, doch wie<lb/>
es mir &#x017F;chien, mehr aus Vergnu&#x0364;gen, als aus<lb/>
Zorn und &#x017F;agte: »Du bi&#x017F;t ein recht unver&#x017F;cha&#x0364;mter<lb/>
Ge&#x017F;ell und glaub&#x017F;t wohl, Du brauch&#x017F;t Deine<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ndlichen Gedanken nur einzuge&#x017F;tehen, um von<lb/>
mir ab&#x017F;olvirt zu &#x017F;ein! Freilich &#x017F;ind es nur die<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nkten und vernagelten Leute, welche nie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0130] ſchon Deine moraliſche Jungfernſchaft verlo¬ ren! Nun kannſt Du Dich in Acht nehmen, Buͤrſchchen, daß es nicht ſo fort geht!« Der drollige Ausdruck, den ſie gebrauchte, ſtellte mir die Sache noch in ein neues und laͤcherlich deut¬ liches Licht, daß ich einen großen Aerger empfand und mich einen ausgeſuchten Eſel, Laffen und aufgeblaͤheten Popanz ſchalt, der ſich ſo blindlings habe uͤbertoͤlpeln laſſen. Judith lachte und rief: »Denke daran, wenn man am geſcheidteſten zu ſein glaubt, ſo kommt man am eheſten als ein Eſel zum Vorſchein!« — »Du brauchſt nicht zu lachen!« erwiederte ich aͤrgerlich, »ich habe Dir ſo eben, als ich kam, auch einen Tort angethan: ich habe gefuͤrchtet, daß Du vielleicht einen frem¬ den Mann bei Dir haben koͤnnteſt!« Sie gab mir ſogleich eine Ohrfeige, doch wie es mir ſchien, mehr aus Vergnuͤgen, als aus Zorn und ſagte: »Du biſt ein recht unverſchaͤmter Geſell und glaubſt wohl, Du brauchſt Deine ſchaͤndlichen Gedanken nur einzugeſtehen, um von mir abſolvirt zu ſein! Freilich ſind es nur die beſchraͤnkten und vernagelten Leute, welche nie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/130
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/130>, abgerufen am 21.11.2024.