Die Geigen schwiegen nicht während der drei Tage; ich ging jeden Abend hin und fand Judith festlich geschmückt unter dem Gedränge der Gäste; ein und das andere Mal tanzte ich bescheiden und wie ein Fremder mit ihr, und auch sie hielt sich zurück, obgleich wir während der geräusch¬ vollen Nächte Gelegenheit genug hatten, uns un¬ bemerkt nahe zu sein. Aber erst dadurch empfand ich recht, welch ein zwingender Reiz in einem solchen Doppelleben und welch ein Zauber in dem Geheimniß liegt; ich war innerlich wie berauscht, und die schöne Judith sah es wohl und bewegte sich um so ruhiger und mit allen Leuten lachend, plaudernd herum, wobei es mir doch wohlgefiel, daß sie im Geheimen doch auch ernster und lei¬ denschaftlich bewegt schien. Alles war mir wie ein Mährchen; die Geigen und die Gläser klan¬ gen, die Leute sangen und tanzten, überall faßte man sich bei den Händen und lachte sich an, und wenn mich so eben ein lustiges Mädchen gestellt und angeredet, und ich schweigend etwa das gol¬ dene Herzchen, das ihr vor der klopfenden Brust tanzte, in die Hand genommen und von allen
Die Geigen ſchwiegen nicht waͤhrend der drei Tage; ich ging jeden Abend hin und fand Judith feſtlich geſchmuͤckt unter dem Gedraͤnge der Gaͤſte; ein und das andere Mal tanzte ich beſcheiden und wie ein Fremder mit ihr, und auch ſie hielt ſich zuruͤck, obgleich wir waͤhrend der geraͤuſch¬ vollen Naͤchte Gelegenheit genug hatten, uns un¬ bemerkt nahe zu ſein. Aber erſt dadurch empfand ich recht, welch ein zwingender Reiz in einem ſolchen Doppelleben und welch ein Zauber in dem Geheimniß liegt; ich war innerlich wie berauſcht, und die ſchoͤne Judith ſah es wohl und bewegte ſich um ſo ruhiger und mit allen Leuten lachend, plaudernd herum, wobei es mir doch wohlgefiel, daß ſie im Geheimen doch auch ernſter und lei¬ denſchaftlich bewegt ſchien. Alles war mir wie ein Maͤhrchen; die Geigen und die Glaͤſer klan¬ gen, die Leute ſangen und tanzten, uͤberall faßte man ſich bei den Haͤnden und lachte ſich an, und wenn mich ſo eben ein luſtiges Maͤdchen geſtellt und angeredet, und ich ſchweigend etwa das gol¬ dene Herzchen, das ihr vor der klopfenden Bruſt tanzte, in die Hand genommen und von allen
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Die Geigen ſchwiegen nicht waͤhrend der drei
Tage; ich ging jeden Abend hin und fand Judith
feſtlich geſchmuͤckt unter dem Gedraͤnge der Gaͤſte;
ein und das andere Mal tanzte ich beſcheiden
und wie ein Fremder mit ihr, und auch ſie hielt
ſich zuruͤck, obgleich wir waͤhrend der geraͤuſch¬
vollen Naͤchte Gelegenheit genug hatten, uns un¬
bemerkt nahe zu ſein. Aber erſt dadurch empfand
ich recht, welch ein zwingender Reiz in einem
ſolchen Doppelleben und welch ein Zauber in dem
Geheimniß liegt; ich war innerlich wie berauſcht,
und die ſchoͤne Judith ſah es wohl und bewegte
ſich um ſo ruhiger und mit allen Leuten lachend,
plaudernd herum, wobei es mir doch wohlgefiel,
daß ſie im Geheimen doch auch ernſter und lei¬
denſchaftlich bewegt ſchien. Alles war mir wie
ein Maͤhrchen; die Geigen und die Glaͤſer klan¬
gen, die Leute ſangen und tanzten, uͤberall faßte
man ſich bei den Haͤnden und lachte ſich an, und
wenn mich ſo eben ein luſtiges Maͤdchen geſtellt
und angeredet, und ich ſchweigend etwa das gol¬
dene Herzchen, das ihr vor der klopfenden Bruſt
tanzte, in die Hand genommen und von allen
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/142>, abgerufen am 21.11.2024.
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