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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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Seiten beschaut, bis sie mir auf die Finger schlug,
so ging ich um so nachdenklicher weiter. Dann
kam die glückliche Braut, welche der Reihe nach
mit aller Welt einer geheim vertraulichen Unterhal¬
tung pflag, zog auch mich bei Seite, fragte, warum
ich nicht lustiger sei und versicherte mir angele¬
gentlich, daß ich ein guter Junge und ihr sehr
lieb sei. Ich ward gerührt und betroffen und
mußte mich von ihr wenden, da mir die Thränen
nahe waren, ohne daß ich eigentlich wußte, warum,
und sie noch weniger. Noch tiefer fühlte ich mich
betroffen, als ich an einem der Tage meine Mut¬
ter, welche auf ein halbes Stündchen erschienen
war, fortbegleitete und plötzlich aus dem Lärm
und Gedränge der Hochzeit heraus mich auf die
stillen grünen Sommerpfade versetzt sah. Meine
Mutter war so ruhig, zufrieden und gesprächig
im Gefühle der erfüllten Pflicht und eines immer
gleichen anspruchlosen Lebens, daß mein leiden¬
schaftlich bewegtes Treiben im grellsten Lichte da¬
gegen abstach, und ich, obgleich ich nun schon ein
anderes Sittengesetz zu kennen glaubte, als das
überkommene, mir den Gedanken nicht verwehren

Seiten beſchaut, bis ſie mir auf die Finger ſchlug,
ſo ging ich um ſo nachdenklicher weiter. Dann
kam die gluͤckliche Braut, welche der Reihe nach
mit aller Welt einer geheim vertraulichen Unterhal¬
tung pflag, zog auch mich bei Seite, fragte, warum
ich nicht luſtiger ſei und verſicherte mir angele¬
gentlich, daß ich ein guter Junge und ihr ſehr
lieb ſei. Ich ward geruͤhrt und betroffen und
mußte mich von ihr wenden, da mir die Thraͤnen
nahe waren, ohne daß ich eigentlich wußte, warum,
und ſie noch weniger. Noch tiefer fuͤhlte ich mich
betroffen, als ich an einem der Tage meine Mut¬
ter, welche auf ein halbes Stuͤndchen erſchienen
war, fortbegleitete und ploͤtzlich aus dem Laͤrm
und Gedraͤnge der Hochzeit heraus mich auf die
ſtillen gruͤnen Sommerpfade verſetzt ſah. Meine
Mutter war ſo ruhig, zufrieden und geſpraͤchig
im Gefuͤhle der erfuͤllten Pflicht und eines immer
gleichen anſpruchloſen Lebens, daß mein leiden¬
ſchaftlich bewegtes Treiben im grellſten Lichte da¬
gegen abſtach, und ich, obgleich ich nun ſchon ein
anderes Sittengeſetz zu kennen glaubte, als das
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[133/0143] Seiten beſchaut, bis ſie mir auf die Finger ſchlug, ſo ging ich um ſo nachdenklicher weiter. Dann kam die gluͤckliche Braut, welche der Reihe nach mit aller Welt einer geheim vertraulichen Unterhal¬ tung pflag, zog auch mich bei Seite, fragte, warum ich nicht luſtiger ſei und verſicherte mir angele¬ gentlich, daß ich ein guter Junge und ihr ſehr lieb ſei. Ich ward geruͤhrt und betroffen und mußte mich von ihr wenden, da mir die Thraͤnen nahe waren, ohne daß ich eigentlich wußte, warum, und ſie noch weniger. Noch tiefer fuͤhlte ich mich betroffen, als ich an einem der Tage meine Mut¬ ter, welche auf ein halbes Stuͤndchen erſchienen war, fortbegleitete und ploͤtzlich aus dem Laͤrm und Gedraͤnge der Hochzeit heraus mich auf die ſtillen gruͤnen Sommerpfade verſetzt ſah. Meine Mutter war ſo ruhig, zufrieden und geſpraͤchig im Gefuͤhle der erfuͤllten Pflicht und eines immer gleichen anſpruchloſen Lebens, daß mein leiden¬ ſchaftlich bewegtes Treiben im grellſten Lichte da¬ gegen abſtach, und ich, obgleich ich nun ſchon ein anderes Sittengeſetz zu kennen glaubte, als das uͤberkommene, mir den Gedanken nicht verwehren

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/143>, abgerufen am 21.11.2024.