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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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vortheilhaft und kräftig erschien, wie man es gar
nicht in ihm gesucht hätte.

Allen klopfte das Herz vor froher Erwartung,
und doch hielten sie sich ruhig und gemessen, wie
Leute, welche fühlten, daß ihnen eine schönere
äußere Erscheinung für das ganze Leben gebührte
und nicht bloß für eine Nacht.

Seltsame Zeit, wo die Menschen, wenn sie
sich freudig erheben wollen, das Gewand der
Vergangenheit anziehen müssen, um nur anständig
zu erscheinen! Und allerdings ist es ein prickliches
Gefühl, zu wissen, daß die Nachkommen unsere
jetzige Tracht nur etwa hervorziehen werden, um
sich im Spotte zu ergehen, wie wir dies jetzo mit
derjenigen des achtzehnten Jahrhunderts thun,
welches sich selbst doch so wohl gefiel. Und wir
können uns nicht anders rächen, als indem wir,
wie öfter geschieht, die verborgene Zukunft in
muthmaßenden Zerrbildern lächerlich machen und
zum Voraus beschimpfen! Wann wird wieder eine
Zeit kommen, wo wir uns um die eigene Achse
drehen und uns in eigener Gegenwart genü¬
gen?

vortheilhaft und kraͤftig erſchien, wie man es gar
nicht in ihm geſucht haͤtte.

Allen klopfte das Herz vor froher Erwartung,
und doch hielten ſie ſich ruhig und gemeſſen, wie
Leute, welche fuͤhlten, daß ihnen eine ſchoͤnere
aͤußere Erſcheinung fuͤr das ganze Leben gebuͤhrte
und nicht bloß fuͤr eine Nacht.

Seltſame Zeit, wo die Menſchen, wenn ſie
ſich freudig erheben wollen, das Gewand der
Vergangenheit anziehen muͤſſen, um nur anſtaͤndig
zu erſcheinen! Und allerdings iſt es ein prickliches
Gefuͤhl, zu wiſſen, daß die Nachkommen unſere
jetzige Tracht nur etwa hervorziehen werden, um
ſich im Spotte zu ergehen, wie wir dies jetzo mit
derjenigen des achtzehnten Jahrhunderts thun,
welches ſich ſelbſt doch ſo wohl gefiel. Und wir
koͤnnen uns nicht anders raͤchen, als indem wir,
wie oͤfter geſchieht, die verborgene Zukunft in
muthmaßenden Zerrbildern laͤcherlich machen und
zum Voraus beſchimpfen! Wann wird wieder eine
Zeit kommen, wo wir uns um die eigene Achſe
drehen und uns in eigener Gegenwart genuͤ¬
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[236/0246] vortheilhaft und kraͤftig erſchien, wie man es gar nicht in ihm geſucht haͤtte. Allen klopfte das Herz vor froher Erwartung, und doch hielten ſie ſich ruhig und gemeſſen, wie Leute, welche fuͤhlten, daß ihnen eine ſchoͤnere aͤußere Erſcheinung fuͤr das ganze Leben gebuͤhrte und nicht bloß fuͤr eine Nacht. Seltſame Zeit, wo die Menſchen, wenn ſie ſich freudig erheben wollen, das Gewand der Vergangenheit anziehen muͤſſen, um nur anſtaͤndig zu erſcheinen! Und allerdings iſt es ein prickliches Gefuͤhl, zu wiſſen, daß die Nachkommen unſere jetzige Tracht nur etwa hervorziehen werden, um ſich im Spotte zu ergehen, wie wir dies jetzo mit derjenigen des achtzehnten Jahrhunderts thun, welches ſich ſelbſt doch ſo wohl gefiel. Und wir koͤnnen uns nicht anders raͤchen, als indem wir, wie oͤfter geſchieht, die verborgene Zukunft in muthmaßenden Zerrbildern laͤcherlich machen und zum Voraus beſchimpfen! Wann wird wieder eine Zeit kommen, wo wir uns um die eigene Achſe drehen und uns in eigener Gegenwart genuͤ¬ gen?

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/246>, abgerufen am 25.11.2024.