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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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leuchtete Haus, in welchem es sang und klang,
hinaufgesehen, kehrte sie ihm noch trauriger den
Rücken und trat, von Heinrich geführt, den Rück¬
weg an durch die stillen Gassen, in denen der
Morgen graute.

Sie hielt das Köpfchen tief gesenkt und ver¬
mochte nicht auf den Mantel Acht zu geben, wel¬
cher alle Augenblicke von den Schultern sank, so
daß ihr feiner Oberkörper durch das Zwielicht
schimmerte, bis Heinrich sie wieder verhüllte. In
der Hand trug sie unbewußt den großen eisernen
Hausschlüssel, welchen ihr Lys in der Zerstreuung
zugesteckt, statt ihrem Begleiter. Sie trug ihn
fest umschlossen in dem dunklen Gefühle, daß
Ferdinand ihr das kalte rostige Eisen gegeben.
Als sie bei dem Hause angekommen waren, stand
sie schweigend und rührte sich nicht, obgleich
Heinrich sie wiederholt fragte, ob er die Glocke
ziehen sollte, und erst als er den Schlüssel in
ihrer Hand entdeckte, aufschloß und sie bat, hin¬
einzugehen, legte sie ihm langsam die Arme um
den Hals und küßte ihn, aber wie im Traume
und ohne ihn anzusehen. Sie zog hierauf die

leuchtete Haus, in welchem es ſang und klang,
hinaufgeſehen, kehrte ſie ihm noch trauriger den
Ruͤcken und trat, von Heinrich gefuͤhrt, den Ruͤck¬
weg an durch die ſtillen Gaſſen, in denen der
Morgen graute.

Sie hielt das Koͤpfchen tief geſenkt und ver¬
mochte nicht auf den Mantel Acht zu geben, wel¬
cher alle Augenblicke von den Schultern ſank, ſo
daß ihr feiner Oberkoͤrper durch das Zwielicht
ſchimmerte, bis Heinrich ſie wieder verhuͤllte. In
der Hand trug ſie unbewußt den großen eiſernen
Hausſchluͤſſel, welchen ihr Lys in der Zerſtreuung
zugeſteckt, ſtatt ihrem Begleiter. Sie trug ihn
feſt umſchloſſen in dem dunklen Gefuͤhle, daß
Ferdinand ihr das kalte roſtige Eiſen gegeben.
Als ſie bei dem Hauſe angekommen waren, ſtand
ſie ſchweigend und ruͤhrte ſich nicht, obgleich
Heinrich ſie wiederholt fragte, ob er die Glocke
ziehen ſollte, und erſt als er den Schluͤſſel in
ihrer Hand entdeckte, aufſchloß und ſie bat, hin¬
einzugehen, legte ſie ihm langſam die Arme um
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[299/0309] leuchtete Haus, in welchem es ſang und klang, hinaufgeſehen, kehrte ſie ihm noch trauriger den Ruͤcken und trat, von Heinrich gefuͤhrt, den Ruͤck¬ weg an durch die ſtillen Gaſſen, in denen der Morgen graute. Sie hielt das Koͤpfchen tief geſenkt und ver¬ mochte nicht auf den Mantel Acht zu geben, wel¬ cher alle Augenblicke von den Schultern ſank, ſo daß ihr feiner Oberkoͤrper durch das Zwielicht ſchimmerte, bis Heinrich ſie wieder verhuͤllte. In der Hand trug ſie unbewußt den großen eiſernen Hausſchluͤſſel, welchen ihr Lys in der Zerſtreuung zugeſteckt, ſtatt ihrem Begleiter. Sie trug ihn feſt umſchloſſen in dem dunklen Gefuͤhle, daß Ferdinand ihr das kalte roſtige Eiſen gegeben. Als ſie bei dem Hauſe angekommen waren, ſtand ſie ſchweigend und ruͤhrte ſich nicht, obgleich Heinrich ſie wiederholt fragte, ob er die Glocke ziehen ſollte, und erſt als er den Schluͤſſel in ihrer Hand entdeckte, aufſchloß und ſie bat, hin¬ einzugehen, legte ſie ihm langſam die Arme um den Hals und kuͤßte ihn, aber wie im Traume und ohne ihn anzuſehen. Sie zog hierauf die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/309>, abgerufen am 22.11.2024.