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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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nichts ansehen lasse, woran sich denn wieder weitere
Gedanken knüpften. Am dritten Tage, als er
begann sich wirklich schwächer zu fühlen und eine
bedenkliche Mattigkeit in den Füßen sich kund
gab, kam ihm dies erst lächerlich vor; dann aber
begann er ängstlich zu werden, und als er sich
zum dritten Mal ungegessen in's Bett legen
mußte, ward es ihm höchst weinerlich und ärger¬
lich zu Muthe und er gedachte, durch den in seiner
Schwäche rumorenden Leib gemahnt, sehnlich und
bitterlich seiner Mutter, nicht besser als ein sechs¬
jähriges Mädchen, das sich verlaufen hat. Wie
er aber an die Geberin seines Lebens dachte,
fiel ihm auch der höchste Schutzpatron und Ober¬
victualienmeister seiner Mutter, der liebe Gott,
ein, und da Noth beten lehrt, so betete er ohne
weiteres Zögern, und zwar zum ersten Mal so zu
sagen in seinem Leben um das tägliche Brot.
Denn bisher hatte er nur um Aushülfe in mora¬
lischen Dingen oder um Gerechtigkeit und gute
Weltordnung gebeten in allerhand Angelegenheiten
für andere Leute; in den letzten Jahren z. B.,
daß der liebe Gott den Polen helfen und den

nichts anſehen laſſe, woran ſich denn wieder weitere
Gedanken knuͤpften. Am dritten Tage, als er
begann ſich wirklich ſchwaͤcher zu fuͤhlen und eine
bedenkliche Mattigkeit in den Fuͤßen ſich kund
gab, kam ihm dies erſt laͤcherlich vor; dann aber
begann er aͤngſtlich zu werden, und als er ſich
zum dritten Mal ungegeſſen in's Bett legen
mußte, ward es ihm hoͤchſt weinerlich und aͤrger¬
lich zu Muthe und er gedachte, durch den in ſeiner
Schwaͤche rumorenden Leib gemahnt, ſehnlich und
bitterlich ſeiner Mutter, nicht beſſer als ein ſechs¬
jaͤhriges Maͤdchen, das ſich verlaufen hat. Wie
er aber an die Geberin ſeines Lebens dachte,
fiel ihm auch der hoͤchſte Schutzpatron und Ober¬
victualienmeiſter ſeiner Mutter, der liebe Gott,
ein, und da Noth beten lehrt, ſo betete er ohne
weiteres Zoͤgern, und zwar zum erſten Mal ſo zu
ſagen in ſeinem Leben um das taͤgliche Brot.
Denn bisher hatte er nur um Aushuͤlfe in mora¬
liſchen Dingen oder um Gerechtigkeit und gute
Weltordnung gebeten in allerhand Angelegenheiten
fuͤr andere Leute; in den letzten Jahren z. B.,
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[158/0168] nichts anſehen laſſe, woran ſich denn wieder weitere Gedanken knuͤpften. Am dritten Tage, als er begann ſich wirklich ſchwaͤcher zu fuͤhlen und eine bedenkliche Mattigkeit in den Fuͤßen ſich kund gab, kam ihm dies erſt laͤcherlich vor; dann aber begann er aͤngſtlich zu werden, und als er ſich zum dritten Mal ungegeſſen in's Bett legen mußte, ward es ihm hoͤchſt weinerlich und aͤrger¬ lich zu Muthe und er gedachte, durch den in ſeiner Schwaͤche rumorenden Leib gemahnt, ſehnlich und bitterlich ſeiner Mutter, nicht beſſer als ein ſechs¬ jaͤhriges Maͤdchen, das ſich verlaufen hat. Wie er aber an die Geberin ſeines Lebens dachte, fiel ihm auch der hoͤchſte Schutzpatron und Ober¬ victualienmeiſter ſeiner Mutter, der liebe Gott, ein, und da Noth beten lehrt, ſo betete er ohne weiteres Zoͤgern, und zwar zum erſten Mal ſo zu ſagen in ſeinem Leben um das taͤgliche Brot. Denn bisher hatte er nur um Aushuͤlfe in mora¬ liſchen Dingen oder um Gerechtigkeit und gute Weltordnung gebeten in allerhand Angelegenheiten fuͤr andere Leute; in den letzten Jahren z. B., daß der liebe Gott den Polen helfen und den

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/168>, abgerufen am 29.11.2024.