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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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wenn er einer strengen Richterin entgegenginge,
die ihn um ihn und sein Leben zur Verantwor¬
tung zöge.

Zugleich bemerkte er, sobald er einen Tag
lang wieder ganz allein gewesen, daß unversehens
der heillose Druck von Dortchens Bild, der so
lange er mit dem Grafen noch fröhlich beisam¬
men war, sich nicht hatte verspüren lassen, wieder
in seiner Brust saß, und er mußte nun fürchten,
daß dies nie wieder wegginge, ohne daß er etwas
dazu thun konnte.

Und zwar war es nun diesmal so, da er
sonst ganz gefaßt und ruhig war, daß es ihm
das Herz zusammenschnürte, ohne daß er beson¬
ders an sie dachte, und wenn er ganz beschäftigt
mit anderen Dingen war, so wartete der verbor¬
gene Herzdrücker und harrte freundschaftlich aus,
bis Heinrich sich an die Ursache erinnerte und
über sie seufzte.

Um dieser Dinge willen war er froh, einen
mäßigen Umweg zu machen, um sich nur erst ein
wenig zurechtzufinden, da ihm nun das Wider¬
sehen der Mutter wichtiger war, als wenn er vor

wenn er einer ſtrengen Richterin entgegenginge,
die ihn um ihn und ſein Leben zur Verantwor¬
tung zoͤge.

Zugleich bemerkte er, ſobald er einen Tag
lang wieder ganz allein geweſen, daß unverſehens
der heilloſe Druck von Dortchens Bild, der ſo
lange er mit dem Grafen noch froͤhlich beiſam¬
men war, ſich nicht hatte verſpuͤren laſſen, wieder
in ſeiner Bruſt ſaß, und er mußte nun fuͤrchten,
daß dies nie wieder wegginge, ohne daß er etwas
dazu thun konnte.

Und zwar war es nun diesmal ſo, da er
ſonſt ganz gefaßt und ruhig war, daß es ihm
das Herz zuſammenſchnuͤrte, ohne daß er beſon¬
ders an ſie dachte, und wenn er ganz beſchaͤftigt
mit anderen Dingen war, ſo wartete der verbor¬
gene Herzdruͤcker und harrte freundſchaftlich aus,
bis Heinrich ſich an die Urſache erinnerte und
uͤber ſie ſeufzte.

Um dieſer Dinge willen war er froh, einen
maͤßigen Umweg zu machen, um ſich nur erſt ein
wenig zurechtzufinden, da ihm nun das Wider¬
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[451/0461] wenn er einer ſtrengen Richterin entgegenginge, die ihn um ihn und ſein Leben zur Verantwor¬ tung zoͤge. Zugleich bemerkte er, ſobald er einen Tag lang wieder ganz allein geweſen, daß unverſehens der heilloſe Druck von Dortchens Bild, der ſo lange er mit dem Grafen noch froͤhlich beiſam¬ men war, ſich nicht hatte verſpuͤren laſſen, wieder in ſeiner Bruſt ſaß, und er mußte nun fuͤrchten, daß dies nie wieder wegginge, ohne daß er etwas dazu thun konnte. Und zwar war es nun diesmal ſo, da er ſonſt ganz gefaßt und ruhig war, daß es ihm das Herz zuſammenſchnuͤrte, ohne daß er beſon¬ ders an ſie dachte, und wenn er ganz beſchaͤftigt mit anderen Dingen war, ſo wartete der verbor¬ gene Herzdruͤcker und harrte freundſchaftlich aus, bis Heinrich ſich an die Urſache erinnerte und uͤber ſie ſeufzte. Um dieſer Dinge willen war er froh, einen maͤßigen Umweg zu machen, um ſich nur erſt ein wenig zurechtzufinden, da ihm nun das Wider¬ ſehen der Mutter wichtiger war, als wenn er vor

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/461>, abgerufen am 29.11.2024.