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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Leute guter Dinge waren. Als er verschwun¬
den, ließ sich das Paar ganz muthlos und be¬
trübt auf die Steine nieder; sie ließen ihre
verschlungenen Hände fahren und stützten die
traurigen Köpfe darauf; denn die Erscheinung
des Geigers und seine Worte hatten sie aus
der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher
sie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und
wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elen¬
des saßen, verdunkelte sich das heitere Lebens¬
licht und ihre Gemüther wurden so schwer wie
Steine.

Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der
wunderlichen Gestalt und der Nase des Gei¬
gers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief:
"Der arme Kerl sieht gar zu spaßhaft aus!
Was für eine Nase!" und eine allerliebste son¬
nenhelle Lustigkeit verbreitete sich über des Mäd¬
chens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis
des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße.
Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlich¬
keit. Es hatte die Ursache aber schon wieder
Vergessen und lachte nur noch auf eigene Rech¬
nung dem Sali in's Gesicht. Dieser, verblüfft

Leute guter Dinge waren. Als er verſchwun¬
den, ließ ſich das Paar ganz muthlos und be¬
trübt auf die Steine nieder; ſie ließen ihre
verſchlungenen Hände fahren und ſtützten die
traurigen Köpfe darauf; denn die Erſcheinung
des Geigers und ſeine Worte hatten ſie aus
der glücklichen Vergeſſenheit geriſſen, in welcher
ſie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und
wie ſie nun auf dem harten Grund ihres Elen¬
des ſaßen, verdunkelte ſich das heitere Lebens¬
licht und ihre Gemüther wurden ſo ſchwer wie
Steine.

Da erinnerte ſich Vrenchen unverſehens der
wunderlichen Geſtalt und der Naſe des Gei¬
gers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief:
»Der arme Kerl ſieht gar zu ſpaßhaft aus!
Was für eine Naſe!« und eine allerliebſte ſon¬
nenhelle Luſtigkeit verbreitete ſich über des Mäd¬
chens Geſicht, als ob ſie nur geharrt hätte, bis
des Geigers Naſe die trüben Wolken wegſtieße.
Sali ſah Vrenchen an und ſah dieſe Fröhlich¬
keit. Es hatte die Urſache aber ſchon wieder
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nung dem Sali in's Geſicht. Dieſer, verblüfft

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[278/0290] Leute guter Dinge waren. Als er verſchwun¬ den, ließ ſich das Paar ganz muthlos und be¬ trübt auf die Steine nieder; ſie ließen ihre verſchlungenen Hände fahren und ſtützten die traurigen Köpfe darauf; denn die Erſcheinung des Geigers und ſeine Worte hatten ſie aus der glücklichen Vergeſſenheit geriſſen, in welcher ſie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und wie ſie nun auf dem harten Grund ihres Elen¬ des ſaßen, verdunkelte ſich das heitere Lebens¬ licht und ihre Gemüther wurden ſo ſchwer wie Steine. Da erinnerte ſich Vrenchen unverſehens der wunderlichen Geſtalt und der Naſe des Gei¬ gers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief: »Der arme Kerl ſieht gar zu ſpaßhaft aus! Was für eine Naſe!« und eine allerliebſte ſon¬ nenhelle Luſtigkeit verbreitete ſich über des Mäd¬ chens Geſicht, als ob ſie nur geharrt hätte, bis des Geigers Naſe die trüben Wolken wegſtieße. Sali ſah Vrenchen an und ſah dieſe Fröhlich¬ keit. Es hatte die Urſache aber ſchon wieder Vergeſſen und lachte nur noch auf eigene Rech¬ nung dem Sali in's Geſicht. Dieſer, verblüfft

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/290>, abgerufen am 27.11.2024.