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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Vrenchen zitterte leis bei diesem letzten Worte
und schmiegte sich tiefer in Sali's Arme, ihn
von Neuem lange und zärtlich küssend. Es tra¬
ten ihr dabei Thränen in die Augen und beide
wurden auf einmal traurig, da ihnen ihre hoff¬
nungsarme Zukunft in den Sinn kam und die
Feindschaft ihrer Ältern. Vrenchen seufzte und
sagte: Komm, ich muß nun gehen! und so er¬
hoben sie sich und gingen Hand in Hand aus
dem Kornfeld, als sie Vrenchens Vater spähend
vor sich sahen. Mit dem kleinlichen Scharfsinn
des müssigen Elendes hatte dieser, als er dem
Sali begegnet, neugierig gegrübelt, was der
wohl allein im Dorfe zu suchen ginge, und sich
des gestrigen Vorfalles erinnernd, verfiel er,
immer nach der Stadt zu schlendernd, endlich
auf die richtige Spur, rein aus Groll und un¬
beschäftigter Bosheit, und nicht so bald gewann
der Verdacht eine bestimmte Gestalt, so kehrte
er mitten in den Gassen von Seldwyla um und
trollte wieder in das Dorf hinaus, wo er seine
Tochter in Haus und Hof und rings in den
Hecken vergeblich suchte. Mit wachsender Neu¬
gier rannte er auf den Acker hinaus, und als

Vrenchen zitterte leis bei dieſem letzten Worte
und ſchmiegte ſich tiefer in Sali's Arme, ihn
von Neuem lange und zärtlich küſſend. Es tra¬
ten ihr dabei Thränen in die Augen und beide
wurden auf einmal traurig, da ihnen ihre hoff¬
nungsarme Zukunft in den Sinn kam und die
Feindſchaft ihrer Ältern. Vrenchen ſeufzte und
ſagte: Komm, ich muß nun gehen! und ſo er¬
hoben ſie ſich und gingen Hand in Hand aus
dem Kornfeld, als ſie Vrenchens Vater ſpähend
vor ſich ſahen. Mit dem kleinlichen Scharfſinn
des müſſigen Elendes hatte dieſer, als er dem
Sali begegnet, neugierig gegrübelt, was der
wohl allein im Dorfe zu ſuchen ginge, und ſich
des geſtrigen Vorfalles erinnernd, verfiel er,
immer nach der Stadt zu ſchlendernd, endlich
auf die richtige Spur, rein aus Groll und un¬
beſchäftigter Bosheit, und nicht ſo bald gewann
der Verdacht eine beſtimmte Geſtalt, ſo kehrte
er mitten in den Gaſſen von Seldwyla um und
trollte wieder in das Dorf hinaus, wo er ſeine
Tochter in Haus und Hof und rings in den
Hecken vergeblich ſuchte. Mit wachſender Neu¬
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[285/0297] Vrenchen zitterte leis bei dieſem letzten Worte und ſchmiegte ſich tiefer in Sali's Arme, ihn von Neuem lange und zärtlich küſſend. Es tra¬ ten ihr dabei Thränen in die Augen und beide wurden auf einmal traurig, da ihnen ihre hoff¬ nungsarme Zukunft in den Sinn kam und die Feindſchaft ihrer Ältern. Vrenchen ſeufzte und ſagte: Komm, ich muß nun gehen! und ſo er¬ hoben ſie ſich und gingen Hand in Hand aus dem Kornfeld, als ſie Vrenchens Vater ſpähend vor ſich ſahen. Mit dem kleinlichen Scharfſinn des müſſigen Elendes hatte dieſer, als er dem Sali begegnet, neugierig gegrübelt, was der wohl allein im Dorfe zu ſuchen ginge, und ſich des geſtrigen Vorfalles erinnernd, verfiel er, immer nach der Stadt zu ſchlendernd, endlich auf die richtige Spur, rein aus Groll und un¬ beſchäftigter Bosheit, und nicht ſo bald gewann der Verdacht eine beſtimmte Geſtalt, ſo kehrte er mitten in den Gaſſen von Seldwyla um und trollte wieder in das Dorf hinaus, wo er ſeine Tochter in Haus und Hof und rings in den Hecken vergeblich ſuchte. Mit wachſender Neu¬ gier rannte er auf den Acker hinaus, und als

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/297>, abgerufen am 22.11.2024.