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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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die Wälder waren mit einem zarten Duftgewebe
bekleidet, welches die Gegend geheimnißvoller
und feierlicher machte, und von allen Seiten
tönten die Kirchenglocken herüber, hier das har¬
monische tiefe Geläute einer reichen Ortschaft,
dort die geschwätzigen zwei Bimmelglöcklein eines
kleinen armen Dörfchens. Das liebende Paar
vergaß, was am Ende dieses Tages werden
sollte, und gab sich einzig der hoch aufathmen¬
den wortlosen Freude hin, sauber gekleidet und
frei, wie zwei Glückliche, die sich von Rechts¬
wegen angehören, in den Sonntag hineinzuwan¬
deln. Jeder in der Sonntagsstille verhallende
Ton oder ferne Ruf klang ihnen erschütternd
durch die Seele; denn die Liebe ist eine Glocke,
welche das Entlegenste und Gleichgültigste wieder
tönen läßt und in eine besondere Musik verwan¬
delt. Obgleich sie hungrig waren, dünkte sie
die halbe Stunde Weges bis zum nächsten Dorfe
nur ein Katzensprung lang zu sein und sie be¬
traten zögernd das Wirthshaus am Eingang des
Ortes. Sali bestellte ein gutes Frühstück und
während es bereitet wurde, sahen sie mäuschen¬
still der sichern und freundlichen Wirthschaft in

die Wälder waren mit einem zarten Duftgewebe
bekleidet, welches die Gegend geheimnißvoller
und feierlicher machte, und von allen Seiten
tönten die Kirchenglocken herüber, hier das har¬
moniſche tiefe Geläute einer reichen Ortſchaft,
dort die geſchwätzigen zwei Bimmelglöcklein eines
kleinen armen Dörfchens. Das liebende Paar
vergaß, was am Ende dieſes Tages werden
ſollte, und gab ſich einzig der hoch aufathmen¬
den wortloſen Freude hin, ſauber gekleidet und
frei, wie zwei Glückliche, die ſich von Rechts¬
wegen angehören, in den Sonntag hineinzuwan¬
deln. Jeder in der Sonntagsſtille verhallende
Ton oder ferne Ruf klang ihnen erſchütternd
durch die Seele; denn die Liebe iſt eine Glocke,
welche das Entlegenſte und Gleichgültigſte wieder
tönen läßt und in eine beſondere Muſik verwan¬
delt. Obgleich ſie hungrig waren, dünkte ſie
die halbe Stunde Weges bis zum nächſten Dorfe
nur ein Katzenſprung lang zu ſein und ſie be¬
traten zögernd das Wirthshaus am Eingang des
Ortes. Sali beſtellte ein gutes Frühſtück und
während es bereitet wurde, ſahen ſie mäuschen¬
ſtill der ſichern und freundlichen Wirthſchaft in

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[316/0328] die Wälder waren mit einem zarten Duftgewebe bekleidet, welches die Gegend geheimnißvoller und feierlicher machte, und von allen Seiten tönten die Kirchenglocken herüber, hier das har¬ moniſche tiefe Geläute einer reichen Ortſchaft, dort die geſchwätzigen zwei Bimmelglöcklein eines kleinen armen Dörfchens. Das liebende Paar vergaß, was am Ende dieſes Tages werden ſollte, und gab ſich einzig der hoch aufathmen¬ den wortloſen Freude hin, ſauber gekleidet und frei, wie zwei Glückliche, die ſich von Rechts¬ wegen angehören, in den Sonntag hineinzuwan¬ deln. Jeder in der Sonntagsſtille verhallende Ton oder ferne Ruf klang ihnen erſchütternd durch die Seele; denn die Liebe iſt eine Glocke, welche das Entlegenſte und Gleichgültigſte wieder tönen läßt und in eine beſondere Muſik verwan¬ delt. Obgleich ſie hungrig waren, dünkte ſie die halbe Stunde Weges bis zum nächſten Dorfe nur ein Katzenſprung lang zu ſein und ſie be¬ traten zögernd das Wirthshaus am Eingang des Ortes. Sali beſtellte ein gutes Frühſtück und während es bereitet wurde, ſahen ſie mäuschen¬ ſtill der ſichern und freundlichen Wirthſchaft in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/328>, abgerufen am 22.11.2024.