Kind, welches sich nicht will fangen lassen. "Reut es Dich schon?" rief Eines zum Andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen; "nein! es freut mich immer mehr!" erwiederte ein Jedes. Aller Sorgen ledig gingen sie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Wasser, so hastig suchten sie eine Stätte, um sich nieder¬ zulassen; denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Werth und Inhalt des übri¬ gen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ih¬ nen ein Hauch, ein Nichts, und sie dachten we¬ niger daran, als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt.
"Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, sieh, sie sind ganz dahin und ver¬ welkt!" Es nahm sie von der Brust, warf sie ins Wasser und sang laut dazu: "Doch süßer als ein Mandelkern ist meine Lieb' zu Dir!"
"Halt! rief Sali, hier ist Dein Brautbett!"
Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und
Kind, welches ſich nicht will fangen laſſen. »Reut es Dich ſchon?« rief Eines zum Andern, als ſie am Fluſſe angekommen waren und ſich ergriffen; »nein! es freut mich immer mehr!« erwiederte ein Jedes. Aller Sorgen ledig gingen ſie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Waſſer, ſo haſtig ſuchten ſie eine Stätte, um ſich nieder¬ zulaſſen; denn ihre Leidenſchaft ſah jetzt nur den Rauſch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Werth und Inhalt des übri¬ gen Lebens drängte ſich in dieſem zuſammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ih¬ nen ein Hauch, ein Nichts, und ſie dachten we¬ niger daran, als ein Leichtſinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er ſeine letzte Habe verzehrt.
»Meine Blumen gehen mir voraus, rief Vrenchen, ſieh, ſie ſind ganz dahin und ver¬ welkt!« Es nahm ſie von der Bruſt, warf ſie ins Waſſer und ſang laut dazu: »Doch ſüßer als ein Mandelkern iſt meine Lieb' zu Dir!«
»Halt! rief Sali, hier iſt Dein Brautbett!«
Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluß führte, und
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Kind, welches ſich nicht will fangen laſſen. »Reut
es Dich ſchon?« rief Eines zum Andern, als ſie
am Fluſſe angekommen waren und ſich ergriffen;
»nein! es freut mich immer mehr!« erwiederte
ein Jedes. Aller Sorgen ledig gingen ſie am
Ufer hinunter und überholten die eilenden Waſſer,
ſo haſtig ſuchten ſie eine Stätte, um ſich nieder¬
zulaſſen; denn ihre Leidenſchaft ſah jetzt nur den
Rauſch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung
lag, und der ganze Werth und Inhalt des übri¬
gen Lebens drängte ſich in dieſem zuſammen;
was danach kam, Tod und Untergang, war ih¬
nen ein Hauch, ein Nichts, und ſie dachten we¬
niger daran, als ein Leichtſinniger denkt, wie
er den andern Tag leben will, wenn er ſeine
letzte Habe verzehrt.
»Meine Blumen gehen mir voraus, rief
Vrenchen, ſieh, ſie ſind ganz dahin und ver¬
welkt!« Es nahm ſie von der Bruſt, warf ſie
ins Waſſer und ſang laut dazu: »Doch ſüßer
als ein Mandelkern iſt meine Lieb' zu Dir!«
»Halt! rief Sali, hier iſt Dein Brautbett!«
Sie waren an einen Fahrweg gekommen,
der vom Dorfe her an den Fluß führte, und
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/366>, abgerufen am 27.11.2024.
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