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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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hier war eine Landungsstelle, wo ein großes
Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag.
In wilder Laune begann er unverweilt die star¬
ken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend
in den Arm und rief: "Was willst Du thun?
Wollen wir den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu
guter Letzt?" "Das soll die Aussteuer sein, die
sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und
ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie
werden überdies ihr Eigenthum unten wieder fin¬
den, wo es ja doch hin soll und werden es
nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon
schwankt es und will hinaus!"

Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer
entfernt im tieferen Wasser. Sali hob Vrenchen
mit seinen Armen hoch empor und schritt durch
das Wasser gegen das Schiff; aber es liebkos'te
ihn so heftig ungeberdig und zappelte wie ein
Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand
halten konnte. Es strebte Gesicht und Hände
ins Wasser zu tauchen und rief: "Ich will auch
das kühle Wasser versuchen! Weißt Du noch,
wie kalt und naß unsere Hände waren, als wir
sie uns zum ersten Mal gaben? Fische fingen

hier war eine Landungsſtelle, wo ein großes
Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag.
In wilder Laune begann er unverweilt die ſtar¬
ken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend
in den Arm und rief: »Was willſt Du thun?
Wollen wir den Bauern ihr Heuſchiff ſtehlen zu
guter Letzt?« »Das ſoll die Ausſteuer ſein, die
ſie uns geben, eine ſchwimmende Bettſtelle und
ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie
werden überdies ihr Eigenthum unten wieder fin¬
den, wo es ja doch hin ſoll und werden es
nicht wiſſen, was damit geſchehen iſt. Sieh, ſchon
ſchwankt es und will hinaus!«

Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer
entfernt im tieferen Waſſer. Sali hob Vrenchen
mit ſeinen Armen hoch empor und ſchritt durch
das Waſſer gegen das Schiff; aber es liebkoſ'te
ihn ſo heftig ungeberdig und zappelte wie ein
Fiſch, daß er im ziehenden Waſſer keinen Stand
halten konnte. Es ſtrebte Geſicht und Hände
ins Waſſer zu tauchen und rief: »Ich will auch
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[355/0367] hier war eine Landungsſtelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die ſtar¬ ken Seile loszubinden, Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief: »Was willſt Du thun? Wollen wir den Bauern ihr Heuſchiff ſtehlen zu guter Letzt?« »Das ſoll die Ausſteuer ſein, die ſie uns geben, eine ſchwimmende Bettſtelle und ein Bett, wie noch keine Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigenthum unten wieder fin¬ den, wo es ja doch hin ſoll und werden es nicht wiſſen, was damit geſchehen iſt. Sieh, ſchon ſchwankt es und will hinaus!« Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tieferen Waſſer. Sali hob Vrenchen mit ſeinen Armen hoch empor und ſchritt durch das Waſſer gegen das Schiff; aber es liebkoſ'te ihn ſo heftig ungeberdig und zappelte wie ein Fiſch, daß er im ziehenden Waſſer keinen Stand halten konnte. Es ſtrebte Geſicht und Hände ins Waſſer zu tauchen und rief: »Ich will auch das kühle Waſſer verſuchen! Weißt Du noch, wie kalt und naß unſere Hände waren, als wir ſie uns zum erſten Mal gaben? Fiſche fingen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/367>, abgerufen am 28.11.2024.