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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Stadt näherte, glitten im Froste des Herbstmor¬
gens zwei bleiche Gestalten, die sich fest umwan¬
den, von der dunklen Masse herunter in die
kalten Fluthen.

Das Schiff legte sich eine Weile nachher
unbeschädigt an eine Brücke und blieb da stehen.
Als man später unterhalb der Stadt die Leichen
fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war
in den Zeitungen zu lesen, zwei junge Leute, die
Kinder zweier blutarmen zu Grunde gegangenen
Familien, welche in unversöhnlicher Feindschaft
lebten, hätten im Wasser den Tod gesucht, nach¬
dem sie einen ganzen Nachmittag herzlich mit
einander getanzt und sich belustigt auf einer Kirch¬
weih. Es sei dies Ereigniß vermuthlich in Ver¬
bindung zu bringen mit einem Heuschiff aus je¬
ner Gegend, welches ohne Schiffleute in der
Stadt gelandet sei, und man nehme an, die
jungen Leute haben das Schiff entwendet, um
darauf ihre verzweifelte und gottverlassene Hoch¬
zeit zu halten, abermals ein Zeichen von der
um sich greifenden Entsittlichung und Verwilde¬
rung der Leidenschaften.

Was die Sittlichkeit betrifft, so bezweckt diese

Stadt näherte, glitten im Froſte des Herbſtmor¬
gens zwei bleiche Geſtalten, die ſich feſt umwan¬
den, von der dunklen Maſſe herunter in die
kalten Fluthen.

Das Schiff legte ſich eine Weile nachher
unbeſchädigt an eine Brücke und blieb da ſtehen.
Als man ſpäter unterhalb der Stadt die Leichen
fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war
in den Zeitungen zu leſen, zwei junge Leute, die
Kinder zweier blutarmen zu Grunde gegangenen
Familien, welche in unverſöhnlicher Feindſchaft
lebten, hätten im Waſſer den Tod geſucht, nach¬
dem ſie einen ganzen Nachmittag herzlich mit
einander getanzt und ſich beluſtigt auf einer Kirch¬
weih. Es ſei dies Ereigniß vermuthlich in Ver¬
bindung zu bringen mit einem Heuſchiff aus je¬
ner Gegend, welches ohne Schiffleute in der
Stadt gelandet ſei, und man nehme an, die
jungen Leute haben das Schiff entwendet, um
darauf ihre verzweifelte und gottverlaſſene Hoch¬
zeit zu halten, abermals ein Zeichen von der
um ſich greifenden Entſittlichung und Verwilde¬
rung der Leidenſchaften.

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[357/0369] Stadt näherte, glitten im Froſte des Herbſtmor¬ gens zwei bleiche Geſtalten, die ſich feſt umwan¬ den, von der dunklen Maſſe herunter in die kalten Fluthen. Das Schiff legte ſich eine Weile nachher unbeſchädigt an eine Brücke und blieb da ſtehen. Als man ſpäter unterhalb der Stadt die Leichen fand und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war in den Zeitungen zu leſen, zwei junge Leute, die Kinder zweier blutarmen zu Grunde gegangenen Familien, welche in unverſöhnlicher Feindſchaft lebten, hätten im Waſſer den Tod geſucht, nach¬ dem ſie einen ganzen Nachmittag herzlich mit einander getanzt und ſich beluſtigt auf einer Kirch¬ weih. Es ſei dies Ereigniß vermuthlich in Ver¬ bindung zu bringen mit einem Heuſchiff aus je¬ ner Gegend, welches ohne Schiffleute in der Stadt gelandet ſei, und man nehme an, die jungen Leute haben das Schiff entwendet, um darauf ihre verzweifelte und gottverlaſſene Hoch¬ zeit zu halten, abermals ein Zeichen von der um ſich greifenden Entſittlichung und Verwilde¬ rung der Leidenſchaften. Was die Sittlichkeit betrifft, ſo bezweckt dieſe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/369>, abgerufen am 28.11.2024.