Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

um, wobei er aber so nüchtern und phantasielos
verfuhr, daß er immer die gleichen drei trostlosen
Kleckse darauf schmierte, denn wenn es nicht
unzweifelhaft vorgeschrieben war, so wandte er
nicht die kleinste Mühe an eine Sache. Ent¬
schloß er sich aber zu einem Spaziergang, so
putzte er sich eine oder zwei Stunden lang pein¬
lich heraus, nahm sein Spazierstöckchen und
wandelte steif ein wenig vor's Thor, wo er de¬
müthig und langweilig herumstand und langwei¬
lige Gespräche führte mit andern Herumständern,
die auch nichts besseres zu thun wußten, etwa
alte arme Seldwyler, welche nicht mehr in's
Wirthshaus gehen konnten. Mit solchen stellte
er sich dann gern vor ein im Bau begriffenes
Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbeschä¬
digten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirn¬
fabrik und düftelte auf das Angelegentlichste über
diese Dinge, deren Zweckmäßigkeit und den
Kostenpunkt, über die Jahrshoffnungen und den
Stand der Feldfrüchte, von was allem er nicht
den Teufel verstand. Es war ihm auch nicht
darum zu thun; aber die Zeit verging ihm so
auf die billigste und kurzweiligste Weise nach

um, wobei er aber ſo nüchtern und phantaſielos
verfuhr, daß er immer die gleichen drei troſtloſen
Kleckſe darauf ſchmierte, denn wenn es nicht
unzweifelhaft vorgeſchrieben war, ſo wandte er
nicht die kleinſte Mühe an eine Sache. Ent¬
ſchloß er ſich aber zu einem Spaziergang, ſo
putzte er ſich eine oder zwei Stunden lang pein¬
lich heraus, nahm ſein Spazierſtöckchen und
wandelte ſteif ein wenig vor's Thor, wo er de¬
müthig und langweilig herumſtand und langwei¬
lige Geſpräche führte mit andern Herumſtändern,
die auch nichts beſſeres zu thun wußten, etwa
alte arme Seldwyler, welche nicht mehr in's
Wirthshaus gehen konnten. Mit ſolchen ſtellte
er ſich dann gern vor ein im Bau begriffenes
Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbeſchä¬
digten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirn¬
fabrik und düftelte auf das Angelegentlichſte über
dieſe Dinge, deren Zweckmäßigkeit und den
Koſtenpunkt, über die Jahrshoffnungen und den
Stand der Feldfrüchte, von was allem er nicht
den Teufel verſtand. Es war ihm auch nicht
darum zu thun; aber die Zeit verging ihm ſo
auf die billigſte und kurzweiligſte Weiſe nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0378" n="366"/>
um, wobei er aber &#x017F;o nüchtern und phanta&#x017F;ielos<lb/>
verfuhr, daß er immer die gleichen drei tro&#x017F;tlo&#x017F;en<lb/>
Kleck&#x017F;e darauf &#x017F;chmierte, denn wenn es nicht<lb/>
unzweifelhaft vorge&#x017F;chrieben war, &#x017F;o wandte er<lb/>
nicht die klein&#x017F;te Mühe an eine Sache. Ent¬<lb/>
&#x017F;chloß er &#x017F;ich aber zu einem Spaziergang, &#x017F;o<lb/>
putzte er &#x017F;ich eine oder zwei Stunden lang pein¬<lb/>
lich heraus, nahm &#x017F;ein Spazier&#x017F;töckchen und<lb/>
wandelte &#x017F;teif ein wenig vor's Thor, wo er de¬<lb/>
müthig und langweilig herum&#x017F;tand und langwei¬<lb/>
lige Ge&#x017F;präche führte mit andern Herum&#x017F;tändern,<lb/>
die auch nichts be&#x017F;&#x017F;eres zu thun wußten, etwa<lb/>
alte arme Seldwyler, welche nicht mehr in's<lb/>
Wirthshaus gehen konnten. Mit &#x017F;olchen &#x017F;tellte<lb/>
er &#x017F;ich dann gern vor ein im Bau begriffenes<lb/>
Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbe&#x017F;chä¬<lb/>
digten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirn¬<lb/>
fabrik und düftelte auf das Angelegentlich&#x017F;te über<lb/>
die&#x017F;e Dinge, deren Zweckmäßigkeit und den<lb/>
Ko&#x017F;tenpunkt, über die Jahrshoffnungen und den<lb/>
Stand der Feldfrüchte, von was allem er nicht<lb/>
den Teufel ver&#x017F;tand. Es war ihm auch nicht<lb/>
darum zu thun; aber die Zeit verging ihm &#x017F;o<lb/>
auf die billig&#x017F;te und kurzweilig&#x017F;te Wei&#x017F;e nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0378] um, wobei er aber ſo nüchtern und phantaſielos verfuhr, daß er immer die gleichen drei troſtloſen Kleckſe darauf ſchmierte, denn wenn es nicht unzweifelhaft vorgeſchrieben war, ſo wandte er nicht die kleinſte Mühe an eine Sache. Ent¬ ſchloß er ſich aber zu einem Spaziergang, ſo putzte er ſich eine oder zwei Stunden lang pein¬ lich heraus, nahm ſein Spazierſtöckchen und wandelte ſteif ein wenig vor's Thor, wo er de¬ müthig und langweilig herumſtand und langwei¬ lige Geſpräche führte mit andern Herumſtändern, die auch nichts beſſeres zu thun wußten, etwa alte arme Seldwyler, welche nicht mehr in's Wirthshaus gehen konnten. Mit ſolchen ſtellte er ſich dann gern vor ein im Bau begriffenes Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbeſchä¬ digten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirn¬ fabrik und düftelte auf das Angelegentlichſte über dieſe Dinge, deren Zweckmäßigkeit und den Koſtenpunkt, über die Jahrshoffnungen und den Stand der Feldfrüchte, von was allem er nicht den Teufel verſtand. Es war ihm auch nicht darum zu thun; aber die Zeit verging ihm ſo auf die billigſte und kurzweiligſte Weiſe nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/378
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/378>, abgerufen am 28.11.2024.