ihrer Kutsche abgefahren war, schien eine Mühle abge¬ stellt zu sein.
"Ich bewundere Ihre Geduld," sagte Lucie, als sie nun allein waren, "mit der Sie den guten Leuten zuge¬ hört und Bescheid gegeben haben."
"Hab' ich denn wirklich so geduldig ausgesehen?" fragte Reinhart verwundert; er hatte nicht das beste Gewissen, weil er die guten Menschen innerlich dahin gewünscht, wo der Pfeffer wächst.
"Vortrefflich haben Sie ausgesehen! Glauben Sie nur, man ist immer etwas besser, als man es Wort haben will! Zur Belohnung sollen Sie eine gute Tasse Thee bekommen und meine Mädchen wieder spinnen sehen! Wein gebe ich Ihnen nicht mehr; denn Sie haben bei Tische schon etwas mehr in den heimlichen Zorn hinein getrunken, als für Ihre Augen gut war."
"Nun soll ich doch wieder zornig gewesen sein?"
"Ja freilich! Um so rühmlicher ist die nachherige Selbstbeherrschung und Geduld!"
Als es dunkel und der Thee getrunken war, nahmen die Mädchen wirklich ihre Rädchen und spannen noch eine Stunde. Das Schnurren, sowie das zwanglose und friedliche Gespräch, das man zuweilen wie zum Spaße beinahe ausgehen ließ, um es doch gemächlich wieder anzubinden, beruhigten vollends die aufgeregten Geister in Reinharts Brust, so daß er zuletzt sich häuslich mit der Lampe beschäftigte, die nicht hell brennen wollte,
ihrer Kutſche abgefahren war, ſchien eine Mühle abge¬ ſtellt zu ſein.
„Ich bewundere Ihre Geduld,“ ſagte Lucie, als ſie nun allein waren, „mit der Sie den guten Leuten zuge¬ hört und Beſcheid gegeben haben.“
„Hab' ich denn wirklich ſo geduldig ausgeſehen?“ fragte Reinhart verwundert; er hatte nicht das beſte Gewiſſen, weil er die guten Menſchen innerlich dahin gewünſcht, wo der Pfeffer wächſt.
„Vortrefflich haben Sie ausgeſehen! Glauben Sie nur, man iſt immer etwas beſſer, als man es Wort haben will! Zur Belohnung ſollen Sie eine gute Taſſe Thee bekommen und meine Mädchen wieder ſpinnen ſehen! Wein gebe ich Ihnen nicht mehr; denn Sie haben bei Tiſche ſchon etwas mehr in den heimlichen Zorn hinein getrunken, als für Ihre Augen gut war.“
„Nun ſoll ich doch wieder zornig geweſen ſein?“
„Ja freilich! Um ſo rühmlicher iſt die nachherige Selbſtbeherrſchung und Geduld!“
Als es dunkel und der Thee getrunken war, nahmen die Mädchen wirklich ihre Rädchen und ſpannen noch eine Stunde. Das Schnurren, ſowie das zwangloſe und friedliche Geſpräch, das man zuweilen wie zum Spaße beinahe ausgehen ließ, um es doch gemächlich wieder anzubinden, beruhigten vollends die aufgeregten Geiſter in Reinharts Bruſt, ſo daß er zuletzt ſich häuslich mit der Lampe beſchäftigte, die nicht hell brennen wollte,
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ihrer Kutſche abgefahren war, ſchien eine Mühle abge¬
ſtellt zu ſein.
„Ich bewundere Ihre Geduld,“ ſagte Lucie, als ſie
nun allein waren, „mit der Sie den guten Leuten zuge¬
hört und Beſcheid gegeben haben.“
„Hab' ich denn wirklich ſo geduldig ausgeſehen?“
fragte Reinhart verwundert; er hatte nicht das beſte
Gewiſſen, weil er die guten Menſchen innerlich dahin
gewünſcht, wo der Pfeffer wächſt.
„Vortrefflich haben Sie ausgeſehen! Glauben Sie
nur, man iſt immer etwas beſſer, als man es Wort
haben will! Zur Belohnung ſollen Sie eine gute Taſſe
Thee bekommen und meine Mädchen wieder ſpinnen ſehen!
Wein gebe ich Ihnen nicht mehr; denn Sie haben bei
Tiſche ſchon etwas mehr in den heimlichen Zorn hinein
getrunken, als für Ihre Augen gut war.“
„Nun ſoll ich doch wieder zornig geweſen ſein?“
„Ja freilich! Um ſo rühmlicher iſt die nachherige
Selbſtbeherrſchung und Geduld!“
Als es dunkel und der Thee getrunken war, nahmen
die Mädchen wirklich ihre Rädchen und ſpannen noch
eine Stunde. Das Schnurren, ſowie das zwangloſe und
friedliche Geſpräch, das man zuweilen wie zum Spaße
beinahe ausgehen ließ, um es doch gemächlich wieder
anzubinden, beruhigten vollends die aufgeregten Geiſter
in Reinharts Bruſt, ſo daß er zuletzt ſich häuslich mit
der Lampe beſchäftigte, die nicht hell brennen wollte,
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/273>, abgerufen am 22.11.2024.
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