gefiel, hatte ein hölzernes Bänklein in ihrem Schatten errichtet.
Hier wollen wir ausruhen und auf das Fräulein warten! sagte Leodegar; was ist das für ein lauschiger Winkel, den ich noch nie gesehen?
Es ist ein Grab, wie ich glaube, erwiderte ich in ängstlicher Zerstreuung, brach jedoch meine Rede ab. Mir war zu Muth, als ob ich wenigstens dreißig Jahr' alt wäre und auf weitentlegene Jugendträume zurück¬ blickte. Obgleich es nur der Schatten eines Dichterge¬ bildes war, der hier begraben lag, so empfand ich doch eine Art Furcht vor der Nebenbuhlerschaft der zwei Männer; denn der Lebende schien mir wohl so schön und gewaltig, wie ich mir einst den Todten gedacht. Das Laub der Hollunderbäume flüsterte mir unheimlich in die Ohren. Auch hatte ich eines Tages meine Erzieherin in einer Damengesellschaft äußern gehört, daß die Männer es hassen, wenn ihre Frauen von früheren Liebesgeschichten erzählen. Alles das war trotz meinem Hange zur Auf¬ richtigkeit Grund genug, auf Leodegar's Frage, wer denn hier begraben sein solle, stumm wie ein Fisch zu bleiben. Ich zitterte leise vor Beklemmung. Er bemerkte es, nahm mich brüderlich in den Arm, streichelte mir die Backen und fragte, was mir denn sei und warum ich ge¬ weint habe?
Da brach ich von Neuem in Thränen aus; ich sehnte mich nach Vertrauen, nach Freundschaft und Liebe, nach
gefiel, hatte ein hölzernes Bänklein in ihrem Schatten errichtet.
Hier wollen wir ausruhen und auf das Fräulein warten! ſagte Leodegar; was iſt das für ein lauſchiger Winkel, den ich noch nie geſehen?
Es iſt ein Grab, wie ich glaube, erwiderte ich in ängſtlicher Zerſtreuung, brach jedoch meine Rede ab. Mir war zu Muth, als ob ich wenigſtens dreißig Jahr' alt wäre und auf weitentlegene Jugendträume zurück¬ blickte. Obgleich es nur der Schatten eines Dichterge¬ bildes war, der hier begraben lag, ſo empfand ich doch eine Art Furcht vor der Nebenbuhlerſchaft der zwei Männer; denn der Lebende ſchien mir wohl ſo ſchön und gewaltig, wie ich mir einſt den Todten gedacht. Das Laub der Hollunderbäume flüſterte mir unheimlich in die Ohren. Auch hatte ich eines Tages meine Erzieherin in einer Damengeſellſchaft äußern gehört, daß die Männer es haſſen, wenn ihre Frauen von früheren Liebesgeſchichten erzählen. Alles das war trotz meinem Hange zur Auf¬ richtigkeit Grund genug, auf Leodegar's Frage, wer denn hier begraben ſein ſolle, ſtumm wie ein Fiſch zu bleiben. Ich zitterte leiſe vor Beklemmung. Er bemerkte es, nahm mich brüderlich in den Arm, ſtreichelte mir die Backen und fragte, was mir denn ſei und warum ich ge¬ weint habe?
Da brach ich von Neuem in Thränen aus; ich ſehnte mich nach Vertrauen, nach Freundſchaft und Liebe, nach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0400"n="390"/>
gefiel, hatte ein hölzernes Bänklein in ihrem Schatten<lb/>
errichtet.</p><lb/><p>Hier wollen wir ausruhen und auf das Fräulein<lb/>
warten! ſagte Leodegar; was iſt das für ein lauſchiger<lb/>
Winkel, den ich noch nie geſehen?</p><lb/><p>Es iſt ein Grab, wie ich glaube, erwiderte ich in<lb/>
ängſtlicher Zerſtreuung, brach jedoch meine Rede ab.<lb/>
Mir war zu Muth, als ob ich wenigſtens dreißig Jahr'<lb/>
alt wäre und auf weitentlegene Jugendträume zurück¬<lb/>
blickte. Obgleich es nur der Schatten eines Dichterge¬<lb/>
bildes war, der hier begraben lag, ſo empfand ich doch<lb/>
eine Art Furcht vor der Nebenbuhlerſchaft der zwei<lb/>
Männer; denn der Lebende ſchien mir wohl ſo ſchön und<lb/>
gewaltig, wie ich mir einſt den Todten gedacht. Das<lb/>
Laub der Hollunderbäume flüſterte mir unheimlich in die<lb/>
Ohren. Auch hatte ich eines Tages meine Erzieherin in<lb/>
einer Damengeſellſchaft äußern gehört, daß die Männer<lb/>
es haſſen, wenn ihre Frauen von früheren Liebesgeſchichten<lb/>
erzählen. Alles das war trotz meinem Hange zur Auf¬<lb/>
richtigkeit Grund genug, auf Leodegar's Frage, wer denn<lb/>
hier begraben ſein ſolle, ſtumm wie ein Fiſch zu bleiben.<lb/>
Ich zitterte leiſe vor Beklemmung. Er bemerkte es,<lb/>
nahm mich brüderlich in den Arm, ſtreichelte mir die<lb/>
Backen und fragte, was mir denn ſei und warum ich ge¬<lb/>
weint habe?</p><lb/><p>Da brach ich von Neuem in Thränen aus; ich ſehnte<lb/>
mich nach Vertrauen, nach Freundſchaft und Liebe, nach<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[390/0400]
gefiel, hatte ein hölzernes Bänklein in ihrem Schatten
errichtet.
Hier wollen wir ausruhen und auf das Fräulein
warten! ſagte Leodegar; was iſt das für ein lauſchiger
Winkel, den ich noch nie geſehen?
Es iſt ein Grab, wie ich glaube, erwiderte ich in
ängſtlicher Zerſtreuung, brach jedoch meine Rede ab.
Mir war zu Muth, als ob ich wenigſtens dreißig Jahr'
alt wäre und auf weitentlegene Jugendträume zurück¬
blickte. Obgleich es nur der Schatten eines Dichterge¬
bildes war, der hier begraben lag, ſo empfand ich doch
eine Art Furcht vor der Nebenbuhlerſchaft der zwei
Männer; denn der Lebende ſchien mir wohl ſo ſchön und
gewaltig, wie ich mir einſt den Todten gedacht. Das
Laub der Hollunderbäume flüſterte mir unheimlich in die
Ohren. Auch hatte ich eines Tages meine Erzieherin in
einer Damengeſellſchaft äußern gehört, daß die Männer
es haſſen, wenn ihre Frauen von früheren Liebesgeſchichten
erzählen. Alles das war trotz meinem Hange zur Auf¬
richtigkeit Grund genug, auf Leodegar's Frage, wer denn
hier begraben ſein ſolle, ſtumm wie ein Fiſch zu bleiben.
Ich zitterte leiſe vor Beklemmung. Er bemerkte es,
nahm mich brüderlich in den Arm, ſtreichelte mir die
Backen und fragte, was mir denn ſei und warum ich ge¬
weint habe?
Da brach ich von Neuem in Thränen aus; ich ſehnte
mich nach Vertrauen, nach Freundſchaft und Liebe, nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/400>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.