Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

dem endlich löste ich die Kette, legte das Ruder ein, das
ich auch hinausgetragen, und lenkte das Fahrzeug auf
die Mitte des sanft im Mondlichte fließenden Stromes
hinaus; denn der Mond stand hoch am Himmel, wie es
überhaupt die schönste Juninacht war. Am Ufer schlug
hüben und drüben hier und da eine Nachtigall, und nie
ist die unbesonnene That eines Backfisches unter solchen
Begleitumständen begangen worden. Ich brauchte aller¬
dings nur dann und wann einmal das Ruder zu rühren,
um das Schifflein in der Richte zu halten; allein die
Fahrt war immerhin bedenklich genug, da ich unter zwei
Brücken hindurch mußte und an einem ihrer Pfeiler
scheitern konnte, wenn ich die rechte Mitte verfehlte.

Ich fuhr aber frech und träumerisch ohne allen Unfall
dahin und lenkte im ersten Morgenscheine in die mir
bekannte Bucht ein, wo die Fischerkähne des Kloster¬
müllers unter den hohen Weidenbäumen standen.

Eben läutete das Mettenglöcklein des Klosters; im
Chore sangen die Nonnen ihre Frühgebete, während
draußen die Amseln, die Finken und andere Vögel ihre
Tagelieder erschallen ließen, daß die Luft zu leben schien.
Aber auch die Hunde rannten bellend herbei, da ich die
Landung mit Geräusch bewerkstelligte, an die Kähne stieß
und mit der Kette des meinigen über dieselben hinweg¬
sprang. Glücklicherweise kam einer der Klosterknechte,
der sich meiner noch erinnerte, und beschwichtigte die
Hunde. Er machte den Kahn fest und trug meinen Korb

dem endlich löſte ich die Kette, legte das Ruder ein, das
ich auch hinausgetragen, und lenkte das Fahrzeug auf
die Mitte des ſanft im Mondlichte fließenden Stromes
hinaus; denn der Mond ſtand hoch am Himmel, wie es
überhaupt die ſchönſte Juninacht war. Am Ufer ſchlug
hüben und drüben hier und da eine Nachtigall, und nie
iſt die unbeſonnene That eines Backfiſches unter ſolchen
Begleitumſtänden begangen worden. Ich brauchte aller¬
dings nur dann und wann einmal das Ruder zu rühren,
um das Schifflein in der Richte zu halten; allein die
Fahrt war immerhin bedenklich genug, da ich unter zwei
Brücken hindurch mußte und an einem ihrer Pfeiler
ſcheitern konnte, wenn ich die rechte Mitte verfehlte.

Ich fuhr aber frech und träumeriſch ohne allen Unfall
dahin und lenkte im erſten Morgenſcheine in die mir
bekannte Bucht ein, wo die Fiſcherkähne des Kloſter¬
müllers unter den hohen Weidenbäumen ſtanden.

Eben läutete das Mettenglöcklein des Kloſters; im
Chore ſangen die Nonnen ihre Frühgebete, während
draußen die Amſeln, die Finken und andere Vögel ihre
Tagelieder erſchallen ließen, daß die Luft zu leben ſchien.
Aber auch die Hunde rannten bellend herbei, da ich die
Landung mit Geräuſch bewerkſtelligte, an die Kähne ſtieß
und mit der Kette des meinigen über dieſelben hinweg¬
ſprang. Glücklicherweiſe kam einer der Kloſterknechte,
der ſich meiner noch erinnerte, und beſchwichtigte die
Hunde. Er machte den Kahn feſt und trug meinen Korb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="393"/>
dem endlich lö&#x017F;te ich die Kette, legte das Ruder ein, das<lb/>
ich auch hinausgetragen, und lenkte das Fahrzeug auf<lb/>
die Mitte des &#x017F;anft im Mondlichte fließenden Stromes<lb/>
hinaus; denn der Mond &#x017F;tand hoch am Himmel, wie es<lb/>
überhaupt die &#x017F;chön&#x017F;te Juninacht war. Am Ufer &#x017F;chlug<lb/>
hüben und drüben hier und da eine Nachtigall, und nie<lb/>
i&#x017F;t die unbe&#x017F;onnene That eines Backfi&#x017F;ches unter &#x017F;olchen<lb/>
Begleitum&#x017F;tänden begangen worden. Ich brauchte aller¬<lb/>
dings nur dann und wann einmal das Ruder zu rühren,<lb/>
um das Schifflein in der Richte zu halten; allein die<lb/>
Fahrt war immerhin bedenklich genug, da ich unter zwei<lb/>
Brücken hindurch mußte und an einem ihrer Pfeiler<lb/>
&#x017F;cheitern konnte, wenn ich die rechte Mitte verfehlte.</p><lb/>
          <p>Ich fuhr aber frech und träumeri&#x017F;ch ohne allen Unfall<lb/>
dahin und lenkte im er&#x017F;ten Morgen&#x017F;cheine in die mir<lb/>
bekannte Bucht ein, wo die Fi&#x017F;cherkähne des Klo&#x017F;ter¬<lb/>
müllers unter den hohen Weidenbäumen &#x017F;tanden.</p><lb/>
          <p>Eben läutete das Mettenglöcklein des Klo&#x017F;ters; im<lb/>
Chore &#x017F;angen die Nonnen ihre Frühgebete, während<lb/>
draußen die Am&#x017F;eln, die Finken und andere Vögel ihre<lb/>
Tagelieder er&#x017F;challen ließen, daß die Luft zu leben &#x017F;chien.<lb/>
Aber auch die Hunde rannten bellend herbei, da ich die<lb/>
Landung mit Geräu&#x017F;ch bewerk&#x017F;telligte, an die Kähne &#x017F;tieß<lb/>
und mit der Kette des meinigen über die&#x017F;elben hinweg¬<lb/>
&#x017F;prang. Glücklicherwei&#x017F;e kam einer der Klo&#x017F;terknechte,<lb/>
der &#x017F;ich meiner noch erinnerte, und be&#x017F;chwichtigte die<lb/>
Hunde. Er machte den Kahn fe&#x017F;t und trug meinen Korb<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0403] dem endlich löſte ich die Kette, legte das Ruder ein, das ich auch hinausgetragen, und lenkte das Fahrzeug auf die Mitte des ſanft im Mondlichte fließenden Stromes hinaus; denn der Mond ſtand hoch am Himmel, wie es überhaupt die ſchönſte Juninacht war. Am Ufer ſchlug hüben und drüben hier und da eine Nachtigall, und nie iſt die unbeſonnene That eines Backfiſches unter ſolchen Begleitumſtänden begangen worden. Ich brauchte aller¬ dings nur dann und wann einmal das Ruder zu rühren, um das Schifflein in der Richte zu halten; allein die Fahrt war immerhin bedenklich genug, da ich unter zwei Brücken hindurch mußte und an einem ihrer Pfeiler ſcheitern konnte, wenn ich die rechte Mitte verfehlte. Ich fuhr aber frech und träumeriſch ohne allen Unfall dahin und lenkte im erſten Morgenſcheine in die mir bekannte Bucht ein, wo die Fiſcherkähne des Kloſter¬ müllers unter den hohen Weidenbäumen ſtanden. Eben läutete das Mettenglöcklein des Kloſters; im Chore ſangen die Nonnen ihre Frühgebete, während draußen die Amſeln, die Finken und andere Vögel ihre Tagelieder erſchallen ließen, daß die Luft zu leben ſchien. Aber auch die Hunde rannten bellend herbei, da ich die Landung mit Geräuſch bewerkſtelligte, an die Kähne ſtieß und mit der Kette des meinigen über dieſelben hinweg¬ ſprang. Glücklicherweiſe kam einer der Kloſterknechte, der ſich meiner noch erinnerte, und beſchwichtigte die Hunde. Er machte den Kahn feſt und trug meinen Korb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/403
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/403>, abgerufen am 24.11.2024.