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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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ausgespannt, vom Stuhle niedergeworfen und auf dem Bo-
den herumgezogen, auf dem sie dann völlig ausgereckt, starr
und kalt liegen blieb, so daß ein wahrer Scheintod einge-
treten zu seyn schien. War dennoch der Kranken trotz des
Widerstrebens etwas beygebracht worden, so trat sofort
eine gewaltsame Bewegung ein, das Aufgedrungene wieder
von sich zu geben, was jedoch nur selten und nie vollständig
gelang. Dieß geschah jedesmal unter höllischem Gebrülle
und furchtbarem Blasen, welches mit einem satanischen, in
den höchsten Fisteltönen ausbrechenden Gelächter abwech-
selte. Kam die Kranke für einige Augenblicke zu sich, so
forderte sie mit Hast und Eile, was sie kaum vorher im
dämonischen Zustande mit Ungestüm von sich gewiesen hatte,
sank dann todesmüde zusammen und jammerte laut, be-
theuerte aber immer wieder, Muth und Gottvertrauen nicht
verlieren und alles dulden und thun zu wollen, was dazu
dienen könne, von dem bösen Geiste befreit zu werden.
Dann kniete sie meistens am offenen Fenster nieder und
sprach mit begeisterter Andacht und flehender Stimme die
herrlichsten Gebete, recitirte richtig und mit innigem Gefühle
alles aus dem Gedächtniß, die schönsten Lieder aus dem
Gesangbuche und jederzeit die passendsten für ihre Lage.
Fühlte sie sich allzuentkräftet, so ersuchte sie die Anwesenden,
ihr laut vorzubeten. An der Bewegung ihrer Lippen sah
man, daß sie alles still nachbetete. Nun bat sie um Arzney
(sie war aus Johanniskraut bereitet), kaum war aber diese
eingenommen, so traten sogleich wieder die fürchterlichsten
dämonischen Szenen ein. So ging es die ganze Nacht hin-
durch. Ich habe sehr starke Nerven, dennoch griffen mich
diese schauderhaften und doch dabey rührenden Auftritte so
heftig an, daß ich zuweilen für einige Zeit das Zimmer ver-
lassen mußte, um mich in frischer Luft zu erholen. Gegen
Morgen zwischen ein und zwei Uhr verloren die Anfälle etwas
von ihrer Schrecklichkeit, die Sprache des Dämons wurde
milder, zuweilen klagend. "Er fühle, so sprach er aus der
Kranken, daß er den Körper der Frau verlassen müsse, er

ausgeſpannt, vom Stuhle niedergeworfen und auf dem Bo-
den herumgezogen, auf dem ſie dann völlig ausgereckt, ſtarr
und kalt liegen blieb, ſo daß ein wahrer Scheintod einge-
treten zu ſeyn ſchien. War dennoch der Kranken trotz des
Widerſtrebens etwas beygebracht worden, ſo trat ſofort
eine gewaltſame Bewegung ein, das Aufgedrungene wieder
von ſich zu geben, was jedoch nur ſelten und nie vollſtändig
gelang. Dieß geſchah jedesmal unter hölliſchem Gebrülle
und furchtbarem Blaſen, welches mit einem ſataniſchen, in
den höchſten Fiſteltönen ausbrechenden Gelächter abwech-
ſelte. Kam die Kranke für einige Augenblicke zu ſich, ſo
forderte ſie mit Haſt und Eile, was ſie kaum vorher im
dämoniſchen Zuſtande mit Ungeſtüm von ſich gewieſen hatte,
ſank dann todesmüde zuſammen und jammerte laut, be-
theuerte aber immer wieder, Muth und Gottvertrauen nicht
verlieren und alles dulden und thun zu wollen, was dazu
dienen könne, von dem böſen Geiſte befreit zu werden.
Dann kniete ſie meiſtens am offenen Fenſter nieder und
ſprach mit begeiſterter Andacht und flehender Stimme die
herrlichſten Gebete, recitirte richtig und mit innigem Gefühle
alles aus dem Gedächtniß, die ſchönſten Lieder aus dem
Geſangbuche und jederzeit die paſſendſten für ihre Lage.
Fühlte ſie ſich allzuentkräftet, ſo erſuchte ſie die Anweſenden,
ihr laut vorzubeten. An der Bewegung ihrer Lippen ſah
man, daß ſie alles ſtill nachbetete. Nun bat ſie um Arzney
(ſie war aus Johanniskraut bereitet), kaum war aber dieſe
eingenommen, ſo traten ſogleich wieder die fürchterlichſten
dämoniſchen Szenen ein. So ging es die ganze Nacht hin-
durch. Ich habe ſehr ſtarke Nerven, dennoch griffen mich
dieſe ſchauderhaften und doch dabey rührenden Auftritte ſo
heftig an, daß ich zuweilen für einige Zeit das Zimmer ver-
laſſen mußte, um mich in friſcher Luft zu erholen. Gegen
Morgen zwiſchen ein und zwei Uhr verloren die Anfälle etwas
von ihrer Schrecklichkeit, die Sprache des Dämons wurde
milder, zuweilen klagend. „Er fühle, ſo ſprach er aus der
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[87/0101] ausgeſpannt, vom Stuhle niedergeworfen und auf dem Bo- den herumgezogen, auf dem ſie dann völlig ausgereckt, ſtarr und kalt liegen blieb, ſo daß ein wahrer Scheintod einge- treten zu ſeyn ſchien. War dennoch der Kranken trotz des Widerſtrebens etwas beygebracht worden, ſo trat ſofort eine gewaltſame Bewegung ein, das Aufgedrungene wieder von ſich zu geben, was jedoch nur ſelten und nie vollſtändig gelang. Dieß geſchah jedesmal unter hölliſchem Gebrülle und furchtbarem Blaſen, welches mit einem ſataniſchen, in den höchſten Fiſteltönen ausbrechenden Gelächter abwech- ſelte. Kam die Kranke für einige Augenblicke zu ſich, ſo forderte ſie mit Haſt und Eile, was ſie kaum vorher im dämoniſchen Zuſtande mit Ungeſtüm von ſich gewieſen hatte, ſank dann todesmüde zuſammen und jammerte laut, be- theuerte aber immer wieder, Muth und Gottvertrauen nicht verlieren und alles dulden und thun zu wollen, was dazu dienen könne, von dem böſen Geiſte befreit zu werden. Dann kniete ſie meiſtens am offenen Fenſter nieder und ſprach mit begeiſterter Andacht und flehender Stimme die herrlichſten Gebete, recitirte richtig und mit innigem Gefühle alles aus dem Gedächtniß, die ſchönſten Lieder aus dem Geſangbuche und jederzeit die paſſendſten für ihre Lage. Fühlte ſie ſich allzuentkräftet, ſo erſuchte ſie die Anweſenden, ihr laut vorzubeten. An der Bewegung ihrer Lippen ſah man, daß ſie alles ſtill nachbetete. Nun bat ſie um Arzney (ſie war aus Johanniskraut bereitet), kaum war aber dieſe eingenommen, ſo traten ſogleich wieder die fürchterlichſten dämoniſchen Szenen ein. So ging es die ganze Nacht hin- durch. Ich habe ſehr ſtarke Nerven, dennoch griffen mich dieſe ſchauderhaften und doch dabey rührenden Auftritte ſo heftig an, daß ich zuweilen für einige Zeit das Zimmer ver- laſſen mußte, um mich in friſcher Luft zu erholen. Gegen Morgen zwiſchen ein und zwei Uhr verloren die Anfälle etwas von ihrer Schrecklichkeit, die Sprache des Dämons wurde milder, zuweilen klagend. „Er fühle, ſo ſprach er aus der Kranken, daß er den Körper der Frau verlaſſen müſſe, er

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/101>, abgerufen am 21.11.2024.