Auf unvermuthetes Vernehmen, daß zwey besessene Weibs- leute in hiesiges Armenhaus gebracht worden, ging ich Pfarrer den 14. Dec. 1714 Abends aus starkem Trieb meines Gewis- fens in's Armenhaus und nachdem ich die zwey besessenen Weibsleute auf eine Herzensprüfung geführt, ob sie nicht durch mancherley herrschende Sünden, z. E. Fluchen, Hader, Zank, Unzucht, Lügen und dergleichen Teufelswerke, dem Satan in sich Raum gegeben hätten, welches aber die Besesse- nen mir nicht gestehen wollten, fing bey der einen Besessenen, Elisabetha, Johann Doblers Frau aus Roschach in der Schweiz, alsbald der Paroxismus damit an, daß der Satan aus ihr mich anfuhr: "Du Narrenmaul! was thust du hier im Bettelhaus, du bekommst gewiß Läuse u. s. w. Ich gab ihm die Antwort: "Durch das Blut, die Wunden und die Marter Jesu Christi sollst du überwunden und ausgetrieben werden!" worüber er heftig schnaubete und brüllte und schrie: "Hätten wir Teufel Gewalt, wir wollten Himmel und Erden unter einander werfen u. s. w., was Gott nicht seyn will das ist unser!" Auf dieses kam die Besessene wieder zur rechten Vernunft und sprach fein und sittsam mit mir, bezeugend, sie wolle Gott bey allen sa- tanischen Anläufen doch nicht aus dem Herzen lassen.
Sonnabends Vormittags bettelte sie ganz verständig hier vor den Häusern, eines andern Bettlers Kind in der Schlinge tragend. Als sie deswegen zur Rede gesetzt wurde, warum sie das thue? das Kind könnte ja in der satanischen Wuth umkommen, versetzte sie! "Der Satan muß mich so lang,
*) S. M. Andreä Hartmanns Hauspostill, 1743.
Geschichte einer Besessenen vom Jahr 1714. *)
Auf unvermuthetes Vernehmen, daß zwey beſeſſene Weibs- leute in hieſiges Armenhaus gebracht worden, ging ich Pfarrer den 14. Dec. 1714 Abends aus ſtarkem Trieb meines Gewiſ- fens in’s Armenhaus und nachdem ich die zwey beſeſſenen Weibsleute auf eine Herzensprüfung geführt, ob ſie nicht durch mancherley herrſchende Sünden, z. E. Fluchen, Hader, Zank, Unzucht, Lügen und dergleichen Teufelswerke, dem Satan in ſich Raum gegeben hätten, welches aber die Beſeſſe- nen mir nicht geſtehen wollten, fing bey der einen Beſeſſenen, Eliſabetha, Johann Doblers Frau aus Roſchach in der Schweiz, alsbald der Paroxismus damit an, daß der Satan aus ihr mich anfuhr: „Du Narrenmaul! was thuſt du hier im Bettelhaus, du bekommſt gewiß Läuſe u. ſ. w. Ich gab ihm die Antwort: „Durch das Blut, die Wunden und die Marter Jeſu Chriſti ſollſt du überwunden und ausgetrieben werden!“ worüber er heftig ſchnaubete und brüllte und ſchrie: „Hätten wir Teufel Gewalt, wir wollten Himmel und Erden unter einander werfen u. ſ. w., was Gott nicht ſeyn will das iſt unſer!“ Auf dieſes kam die Beſeſſene wieder zur rechten Vernunft und ſprach fein und ſittſam mit mir, bezeugend, ſie wolle Gott bey allen ſa- taniſchen Anläufen doch nicht aus dem Herzen laſſen.
Sonnabends Vormittags bettelte ſie ganz verſtändig hier vor den Häuſern, eines andern Bettlers Kind in der Schlinge tragend. Als ſie deswegen zur Rede geſetzt wurde, warum ſie das thue? das Kind könnte ja in der ſataniſchen Wuth umkommen, verſetzte ſie! „Der Satan muß mich ſo lang,
*) S. M. Andreä Hartmanns Hauspoſtill, 1743.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0118"n="104"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Geschichte einer Besessenen</hi></hi><lb/>
vom Jahr 1714. <noteplace="foot"n="*)">S. <hirendition="#aq">M.</hi> Andreä Hartmanns Hauspoſtill, 1743.</note></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Auf unvermuthetes Vernehmen, daß zwey beſeſſene Weibs-<lb/>
leute in hieſiges Armenhaus gebracht worden, ging ich Pfarrer<lb/>
den 14. Dec. 1714 Abends aus ſtarkem Trieb meines Gewiſ-<lb/>
fens in’s Armenhaus und nachdem ich die zwey beſeſſenen<lb/>
Weibsleute auf eine Herzensprüfung geführt, ob ſie nicht<lb/>
durch mancherley herrſchende Sünden, z. E. Fluchen, Hader,<lb/>
Zank, Unzucht, Lügen und dergleichen Teufelswerke, dem<lb/>
Satan in ſich Raum gegeben hätten, welches aber die Beſeſſe-<lb/>
nen mir nicht geſtehen wollten, fing bey der einen Beſeſſenen,<lb/>
Eliſabetha, Johann <hirendition="#g">Doblers</hi> Frau aus Roſchach in der<lb/>
Schweiz, alsbald der Paroxismus damit an, daß der<lb/>
Satan aus ihr mich anfuhr: „Du Narrenmaul! was thuſt<lb/>
du hier im Bettelhaus, du bekommſt gewiß Läuſe u. ſ. w.<lb/>
Ich gab ihm die Antwort: „Durch das Blut, die Wunden<lb/>
und die Marter Jeſu Chriſti ſollſt du überwunden und<lb/>
ausgetrieben werden!“ worüber er heftig ſchnaubete und<lb/>
brüllte und ſchrie: „Hätten wir Teufel Gewalt, wir wollten<lb/>
Himmel und Erden unter einander werfen u. ſ. w., was<lb/>
Gott nicht ſeyn will das iſt unſer!“ Auf dieſes kam die<lb/>
Beſeſſene wieder zur rechten Vernunft und ſprach fein und<lb/>ſittſam mit mir, bezeugend, ſie wolle Gott bey allen ſa-<lb/>
taniſchen Anläufen doch nicht aus dem Herzen laſſen.</p><lb/><p>Sonnabends Vormittags bettelte ſie ganz verſtändig hier<lb/>
vor den Häuſern, eines andern Bettlers Kind in der Schlinge<lb/>
tragend. Als ſie deswegen zur Rede geſetzt wurde, warum<lb/>ſie das thue? das Kind könnte ja in der ſataniſchen Wuth<lb/>
umkommen, verſetzte ſie! „Der Satan muß mich ſo lang,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0118]
Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1714. *)
Auf unvermuthetes Vernehmen, daß zwey beſeſſene Weibs-
leute in hieſiges Armenhaus gebracht worden, ging ich Pfarrer
den 14. Dec. 1714 Abends aus ſtarkem Trieb meines Gewiſ-
fens in’s Armenhaus und nachdem ich die zwey beſeſſenen
Weibsleute auf eine Herzensprüfung geführt, ob ſie nicht
durch mancherley herrſchende Sünden, z. E. Fluchen, Hader,
Zank, Unzucht, Lügen und dergleichen Teufelswerke, dem
Satan in ſich Raum gegeben hätten, welches aber die Beſeſſe-
nen mir nicht geſtehen wollten, fing bey der einen Beſeſſenen,
Eliſabetha, Johann Doblers Frau aus Roſchach in der
Schweiz, alsbald der Paroxismus damit an, daß der
Satan aus ihr mich anfuhr: „Du Narrenmaul! was thuſt
du hier im Bettelhaus, du bekommſt gewiß Läuſe u. ſ. w.
Ich gab ihm die Antwort: „Durch das Blut, die Wunden
und die Marter Jeſu Chriſti ſollſt du überwunden und
ausgetrieben werden!“ worüber er heftig ſchnaubete und
brüllte und ſchrie: „Hätten wir Teufel Gewalt, wir wollten
Himmel und Erden unter einander werfen u. ſ. w., was
Gott nicht ſeyn will das iſt unſer!“ Auf dieſes kam die
Beſeſſene wieder zur rechten Vernunft und ſprach fein und
ſittſam mit mir, bezeugend, ſie wolle Gott bey allen ſa-
taniſchen Anläufen doch nicht aus dem Herzen laſſen.
Sonnabends Vormittags bettelte ſie ganz verſtändig hier
vor den Häuſern, eines andern Bettlers Kind in der Schlinge
tragend. Als ſie deswegen zur Rede geſetzt wurde, warum
ſie das thue? das Kind könnte ja in der ſataniſchen Wuth
umkommen, verſetzte ſie! „Der Satan muß mich ſo lang,
*) S. M. Andreä Hartmanns Hauspoſtill, 1743.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/118>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.