Unter den Armen, die selbige Nacht im Armenhause lagen, waren drey kleine Kinder und darunter ein Säugling, von wel- chen der Satan bekannte: "Die drey unschuldigen Kinder ma- chen mir sehr bange!" Da gab ich ihm einen Schwerdtstreich mit dem Wort Gottes: "Merk's Teufel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hat Gott eine Macht wider dich zugerichtet, daß du Feind und Rachgieriger ver- tilget werdest." Inzwischen riß der Satan die armselige Kreatur, sperrte ihr das Maul gräßlich auf, warf sie so stark hin und her auf den Boden, daß drey bis vier starke Personen sie kaum halten konnten, ließ einen natürlichen und unleidendlichen Gestank von sich, machte die Besessene so hart wie einen Stein, eiskalt und so sinn- und leblos, daß sie gleich als zuvor, lange wie todt da lag, bis sie endlich in Gottes Kraft wieder zur natürlichen Wärme, Empfindung und Verstand gelangte. --
Nach diesem schalt mich der Satan: "Du Papperle hast mir meine sechs Kameraden gestohlen!" Auf meine Antwort: "Du wirst mit der Hülfe Gottes deinen Kame- raden nachfolgen müssen, sprach er: "Die Zeit ist noch nicht da, ich darf noch sechs Jahre in der Kreatur bleiben." Darauf erwiederte ich: "Du Lügengeist! du weist ja Gottes Zeit nicht!"
Nach meinem Abschied blieben zwey fromme Männer von meinen Zuhörern zurück. mit welchen die Besessene, als sie sich ein wenig erholt hatte, zu beten anfing. Der Satan ließ sie aber nicht lange im Gebet, sondern fing bald an zu schimpfen: "Warum habe ich die Kreatur nicht lieber in die Türkey geführt, denn hieher, wo man mir meine sechs Kameraden gestohlen, aber der große Gott hat mich gezwun- gen, daß ich hieher mußte." --
Die Männer bedrohten den Satan, er solle die Kreatur beten lassen, da sprach er: "Tanzet, tanzet, dann führen wir Teufel den Vortanz!" u. s. w.
Ein Weib aus dem Armenhause wandte sich zu der andern Besessenen, zur Stieftochter der ersten Besessenen und sprach
Unter den Armen, die ſelbige Nacht im Armenhauſe lagen, waren drey kleine Kinder und darunter ein Säugling, von wel- chen der Satan bekannte: „Die drey unſchuldigen Kinder ma- chen mir ſehr bange!“ Da gab ich ihm einen Schwerdtſtreich mit dem Wort Gottes: „Merk’s Teufel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hat Gott eine Macht wider dich zugerichtet, daß du Feind und Rachgieriger ver- tilget werdeſt.“ Inzwiſchen riß der Satan die armſelige Kreatur, ſperrte ihr das Maul gräßlich auf, warf ſie ſo ſtark hin und her auf den Boden, daß drey bis vier ſtarke Perſonen ſie kaum halten konnten, ließ einen natürlichen und unleidendlichen Geſtank von ſich, machte die Beſeſſene ſo hart wie einen Stein, eiskalt und ſo ſinn- und leblos, daß ſie gleich als zuvor, lange wie todt da lag, bis ſie endlich in Gottes Kraft wieder zur natürlichen Wärme, Empfindung und Verſtand gelangte. —
Nach dieſem ſchalt mich der Satan: „Du Papperle haſt mir meine ſechs Kameraden geſtohlen!“ Auf meine Antwort: „Du wirſt mit der Hülfe Gottes deinen Kame- raden nachfolgen müſſen, ſprach er: „Die Zeit iſt noch nicht da, ich darf noch ſechs Jahre in der Kreatur bleiben.“ Darauf erwiederte ich: „Du Lügengeiſt! du weiſt ja Gottes Zeit nicht!“
Nach meinem Abſchied blieben zwey fromme Männer von meinen Zuhörern zurück. mit welchen die Beſeſſene, als ſie ſich ein wenig erholt hatte, zu beten anfing. Der Satan ließ ſie aber nicht lange im Gebet, ſondern fing bald an zu ſchimpfen: „Warum habe ich die Kreatur nicht lieber in die Türkey geführt, denn hieher, wo man mir meine ſechs Kameraden geſtohlen, aber der große Gott hat mich gezwun- gen, daß ich hieher mußte.“ —
Die Männer bedrohten den Satan, er ſolle die Kreatur beten laſſen, da ſprach er: „Tanzet, tanzet, dann führen wir Teufel den Vortanz!“ u. ſ. w.
Ein Weib aus dem Armenhauſe wandte ſich zu der andern Beſeſſenen, zur Stieftochter der erſten Beſeſſenen und ſprach
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0121"n="107"/><p>Unter den Armen, die ſelbige Nacht im Armenhauſe lagen,<lb/>
waren drey kleine Kinder und darunter ein Säugling, von wel-<lb/>
chen der Satan bekannte: „Die drey unſchuldigen Kinder ma-<lb/>
chen mir ſehr bange!“ Da gab ich ihm einen Schwerdtſtreich<lb/>
mit dem Wort Gottes: „Merk’s Teufel! Aus dem Munde<lb/>
der jungen Kinder und Säuglinge hat Gott eine Macht<lb/>
wider dich zugerichtet, daß du Feind und Rachgieriger ver-<lb/>
tilget werdeſt.“ Inzwiſchen riß der Satan die armſelige<lb/>
Kreatur, ſperrte ihr das Maul gräßlich auf, warf ſie ſo<lb/>ſtark hin und her auf den Boden, daß drey bis vier ſtarke<lb/>
Perſonen ſie kaum halten konnten, ließ einen natürlichen<lb/>
und unleidendlichen Geſtank von ſich, machte die Beſeſſene<lb/>ſo hart wie einen Stein, eiskalt und ſo ſinn- und leblos,<lb/>
daß ſie gleich als zuvor, lange wie todt da lag, bis ſie<lb/>
endlich in Gottes Kraft wieder zur natürlichen Wärme,<lb/>
Empfindung und Verſtand gelangte. —</p><lb/><p>Nach dieſem ſchalt mich der Satan: „Du Papperle<lb/>
haſt mir meine ſechs Kameraden geſtohlen!“ Auf meine<lb/>
Antwort: „Du wirſt mit der Hülfe Gottes deinen Kame-<lb/>
raden nachfolgen müſſen, ſprach er: „Die Zeit iſt noch<lb/>
nicht da, ich darf noch ſechs Jahre in der Kreatur bleiben.“<lb/>
Darauf erwiederte ich: „Du Lügengeiſt! du weiſt ja Gottes<lb/>
Zeit nicht!“</p><lb/><p>Nach meinem Abſchied blieben zwey fromme Männer<lb/>
von meinen Zuhörern zurück. mit welchen die Beſeſſene, als<lb/>ſie ſich ein wenig erholt hatte, zu beten anfing. Der Satan<lb/>
ließ ſie aber nicht lange im Gebet, ſondern fing bald an<lb/>
zu ſchimpfen: „Warum habe ich die Kreatur nicht lieber in<lb/>
die Türkey geführt, denn hieher, wo man mir meine ſechs<lb/>
Kameraden geſtohlen, aber der große Gott hat mich gezwun-<lb/>
gen, daß ich hieher mußte.“—</p><lb/><p>Die Männer bedrohten den Satan, er ſolle die Kreatur<lb/>
beten laſſen, da ſprach er: „Tanzet, tanzet, dann führen<lb/>
wir Teufel den Vortanz!“ u. ſ. w.</p><lb/><p>Ein Weib aus dem Armenhauſe wandte ſich zu der andern<lb/>
Beſeſſenen, zur Stieftochter der erſten Beſeſſenen und ſprach<lb/></p></div></body></text></TEI>
[107/0121]
Unter den Armen, die ſelbige Nacht im Armenhauſe lagen,
waren drey kleine Kinder und darunter ein Säugling, von wel-
chen der Satan bekannte: „Die drey unſchuldigen Kinder ma-
chen mir ſehr bange!“ Da gab ich ihm einen Schwerdtſtreich
mit dem Wort Gottes: „Merk’s Teufel! Aus dem Munde
der jungen Kinder und Säuglinge hat Gott eine Macht
wider dich zugerichtet, daß du Feind und Rachgieriger ver-
tilget werdeſt.“ Inzwiſchen riß der Satan die armſelige
Kreatur, ſperrte ihr das Maul gräßlich auf, warf ſie ſo
ſtark hin und her auf den Boden, daß drey bis vier ſtarke
Perſonen ſie kaum halten konnten, ließ einen natürlichen
und unleidendlichen Geſtank von ſich, machte die Beſeſſene
ſo hart wie einen Stein, eiskalt und ſo ſinn- und leblos,
daß ſie gleich als zuvor, lange wie todt da lag, bis ſie
endlich in Gottes Kraft wieder zur natürlichen Wärme,
Empfindung und Verſtand gelangte. —
Nach dieſem ſchalt mich der Satan: „Du Papperle
haſt mir meine ſechs Kameraden geſtohlen!“ Auf meine
Antwort: „Du wirſt mit der Hülfe Gottes deinen Kame-
raden nachfolgen müſſen, ſprach er: „Die Zeit iſt noch
nicht da, ich darf noch ſechs Jahre in der Kreatur bleiben.“
Darauf erwiederte ich: „Du Lügengeiſt! du weiſt ja Gottes
Zeit nicht!“
Nach meinem Abſchied blieben zwey fromme Männer
von meinen Zuhörern zurück. mit welchen die Beſeſſene, als
ſie ſich ein wenig erholt hatte, zu beten anfing. Der Satan
ließ ſie aber nicht lange im Gebet, ſondern fing bald an
zu ſchimpfen: „Warum habe ich die Kreatur nicht lieber in
die Türkey geführt, denn hieher, wo man mir meine ſechs
Kameraden geſtohlen, aber der große Gott hat mich gezwun-
gen, daß ich hieher mußte.“ —
Die Männer bedrohten den Satan, er ſolle die Kreatur
beten laſſen, da ſprach er: „Tanzet, tanzet, dann führen
wir Teufel den Vortanz!“ u. ſ. w.
Ein Weib aus dem Armenhauſe wandte ſich zu der andern
Beſeſſenen, zur Stieftochter der erſten Beſeſſenen und ſprach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/121>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.