Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

"haben mag, auf ihn anzuwenden? Ich gebiete nur dem
"Teufel, sagt er, und er hört auf zu wirken aus Ehr-
"furcht vor dem Namen Jesu. Gott wirkt nicht! Eigent-
"lich ist also das, was vorgeht, kein Wunder. Sey nun
"Gaßner ein Israelit, in dem kein Falsch ist, wie Zwan-
"zig gegen Einen behaupten, oder ein von Jesuiten besol-
"deter Betrüger, wie Eins gegen Hundert behauptet, alle-
"mal ist man schuldig, ihn nach seiner Theorie und seiner
"Prätension zu beurtheilen. Man verstößt gegen die ersten
"Gründe der Logik und alle Billigkeit, wenn man, statt
"die Thatsachen zu untersuchen, raisonnirt, und ihm zu
"Last legt, daß er dieß oder jenes nicht könne, was er zu
"können nie behauptet hat. Ich gestehe Ihnen, Briefe
"von Gaßner gesehen zu haben, die nur entweder von der
"redlichsten Seele oder von dem verfluchtesten Tartüffe her-
"kommen können. Ich müßte mich verachten, wenn ich beym
"Lesen dieser Briefe mir hätte können einfallen lassen: Gaß-
"ner ist ein Betrüger. -- Ich schäme mich nicht, zu sa-
"gen, daß ich, die Sache zu untersuchen, selbst Lust hatte,
"wären nicht unvermeidliche Hindernisse dazwischen gekom-
"men. Ich habe eine solche Menge von Nachrichten vor
"mir, daß die Wichtigkeit und Würdigkeit einer genauen
"Untersuchung außer Zweifel ist. Aber was werden meine
"Feinde hiezu sagen? Sie werden lachen und lügen. --
"Aber leichter ist Lachen als Untersuchen. Der Narr lacht,
"der Weise untersucht, und nachher mag er lachen oder wei-
"nen. Gaßner ist kein Wunderthäter, und will keiner seyn,
"aber ein Exorcist? sagst Du Protestant; das soll und darf
"er seyn. Alle Partheyen geben Thatsachen zu, also un-
"tersuchet. Wer soll's thun? Viele können's nicht, Viele
"wollen's nicht. Katholiken können nicht, Protestanten
"wollen nicht. Wer soll's? Nochmal, lachen ist leichter
"als untersuchen." Zürch, den 31. Mai 1775.

In diesen beyden letztern Briefen steht die wahre Auf-
klärung der falschen gegenüber. Die wahre dringt auf Un-
tersuchung und muß darauf dringen, weil Christus selbst

„haben mag, auf ihn anzuwenden? Ich gebiete nur dem
„Teufel, ſagt er, und er hört auf zu wirken aus Ehr-
„furcht vor dem Namen Jeſu. Gott wirkt nicht! Eigent-
„lich iſt alſo das, was vorgeht, kein Wunder. Sey nun
„Gaßner ein Israelit, in dem kein Falſch iſt, wie Zwan-
„zig gegen Einen behaupten, oder ein von Jeſuiten beſol-
„deter Betrüger, wie Eins gegen Hundert behauptet, alle-
„mal iſt man ſchuldig, ihn nach ſeiner Theorie und ſeiner
„Prätenſion zu beurtheilen. Man verſtößt gegen die erſten
„Gründe der Logik und alle Billigkeit, wenn man, ſtatt
„die Thatſachen zu unterſuchen, raiſonnirt, und ihm zu
„Laſt legt, daß er dieß oder jenes nicht könne, was er zu
„können nie behauptet hat. Ich geſtehe Ihnen, Briefe
„von Gaßner geſehen zu haben, die nur entweder von der
„redlichſten Seele oder von dem verfluchteſten Tartüffe her-
„kommen können. Ich müßte mich verachten, wenn ich beym
„Leſen dieſer Briefe mir hätte können einfallen laſſen: Gaß-
„ner iſt ein Betrüger. — Ich ſchäme mich nicht, zu ſa-
„gen, daß ich, die Sache zu unterſuchen, ſelbſt Luſt hatte,
„wären nicht unvermeidliche Hinderniſſe dazwiſchen gekom-
„men. Ich habe eine ſolche Menge von Nachrichten vor
„mir, daß die Wichtigkeit und Würdigkeit einer genauen
„Unterſuchung außer Zweifel iſt. Aber was werden meine
„Feinde hiezu ſagen? Sie werden lachen und lügen. —
„Aber leichter iſt Lachen als Unterſuchen. Der Narr lacht,
„der Weiſe unterſucht, und nachher mag er lachen oder wei-
„nen. Gaßner iſt kein Wunderthäter, und will keiner ſeyn,
„aber ein Exorciſt? ſagſt Du Proteſtant; das ſoll und darf
„er ſeyn. Alle Partheyen geben Thatſachen zu, alſo un-
„terſuchet. Wer ſoll’s thun? Viele können’s nicht, Viele
„wollen’s nicht. Katholiken können nicht, Proteſtanten
„wollen nicht. Wer ſoll’s? Nochmal, lachen iſt leichter
„als unterſuchen.“ Zürch, den 31. Mai 1775.

In dieſen beyden letztern Briefen ſteht die wahre Auf-
klärung der falſchen gegenüber. Die wahre dringt auf Un-
terſuchung und muß darauf dringen, weil Chriſtus ſelbſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="155"/>
&#x201E;haben mag, auf ihn anzuwenden? Ich gebiete nur dem<lb/>
&#x201E;Teufel, &#x017F;agt er, und er hört auf zu wirken aus Ehr-<lb/>
&#x201E;furcht vor dem Namen Je&#x017F;u. Gott wirkt nicht! Eigent-<lb/>
&#x201E;lich i&#x017F;t al&#x017F;o das, was vorgeht, kein Wunder. Sey nun<lb/>
&#x201E;Gaßner ein Israelit, in dem kein Fal&#x017F;ch i&#x017F;t, wie Zwan-<lb/>
&#x201E;zig gegen Einen behaupten, oder ein von Je&#x017F;uiten be&#x017F;ol-<lb/>
&#x201E;deter Betrüger, wie Eins gegen Hundert behauptet, alle-<lb/>
&#x201E;mal i&#x017F;t man &#x017F;chuldig, ihn nach &#x017F;einer Theorie und &#x017F;einer<lb/>
&#x201E;Präten&#x017F;ion zu beurtheilen. Man ver&#x017F;tößt gegen die er&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;Gründe der Logik und alle Billigkeit, wenn man, &#x017F;tatt<lb/>
&#x201E;die That&#x017F;achen zu unter&#x017F;uchen, rai&#x017F;onnirt, und ihm zu<lb/>
&#x201E;La&#x017F;t legt, daß er dieß oder jenes nicht könne, was er zu<lb/>
&#x201E;können nie behauptet hat. Ich ge&#x017F;tehe Ihnen, Briefe<lb/>
&#x201E;von Gaßner ge&#x017F;ehen zu haben, die nur entweder von der<lb/>
&#x201E;redlich&#x017F;ten Seele oder von dem verfluchte&#x017F;ten Tartüffe her-<lb/>
&#x201E;kommen können. Ich müßte mich verachten, wenn ich beym<lb/>
&#x201E;Le&#x017F;en die&#x017F;er Briefe mir hätte können einfallen la&#x017F;&#x017F;en: Gaß-<lb/>
&#x201E;ner i&#x017F;t ein Betrüger. &#x2014; Ich &#x017F;chäme mich nicht, zu &#x017F;a-<lb/>
&#x201E;gen, daß ich, die Sache zu unter&#x017F;uchen, &#x017F;elb&#x017F;t Lu&#x017F;t hatte,<lb/>
&#x201E;wären nicht unvermeidliche Hinderni&#x017F;&#x017F;e dazwi&#x017F;chen gekom-<lb/>
&#x201E;men. Ich habe eine &#x017F;olche Menge von Nachrichten vor<lb/>
&#x201E;mir, daß die Wichtigkeit und Würdigkeit einer genauen<lb/>
&#x201E;Unter&#x017F;uchung außer Zweifel i&#x017F;t. Aber was werden meine<lb/>
&#x201E;Feinde hiezu &#x017F;agen? Sie werden lachen und lügen. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Aber leichter i&#x017F;t Lachen als Unter&#x017F;uchen. Der Narr lacht,<lb/>
&#x201E;der Wei&#x017F;e unter&#x017F;ucht, und nachher mag er lachen oder wei-<lb/>
&#x201E;nen. Gaßner i&#x017F;t kein Wunderthäter, und will keiner &#x017F;eyn,<lb/>
&#x201E;aber ein Exorci&#x017F;t? &#x017F;ag&#x017F;t Du Prote&#x017F;tant; das &#x017F;oll und darf<lb/>
&#x201E;er &#x017F;eyn. Alle Partheyen geben That&#x017F;achen zu, al&#x017F;o un-<lb/>
&#x201E;ter&#x017F;uchet. Wer &#x017F;oll&#x2019;s thun? Viele können&#x2019;s nicht, Viele<lb/>
&#x201E;wollen&#x2019;s nicht. Katholiken können nicht, Prote&#x017F;tanten<lb/>
&#x201E;wollen nicht. Wer &#x017F;oll&#x2019;s? Nochmal, lachen i&#x017F;t leichter<lb/>
&#x201E;als unter&#x017F;uchen.&#x201C; Zürch, den 31. Mai 1775.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;en beyden letztern Briefen &#x017F;teht die wahre Auf-<lb/>
klärung der fal&#x017F;chen gegenüber. Die wahre dringt auf Un-<lb/>
ter&#x017F;uchung und muß darauf dringen, weil Chri&#x017F;tus &#x017F;elb&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0169] „haben mag, auf ihn anzuwenden? Ich gebiete nur dem „Teufel, ſagt er, und er hört auf zu wirken aus Ehr- „furcht vor dem Namen Jeſu. Gott wirkt nicht! Eigent- „lich iſt alſo das, was vorgeht, kein Wunder. Sey nun „Gaßner ein Israelit, in dem kein Falſch iſt, wie Zwan- „zig gegen Einen behaupten, oder ein von Jeſuiten beſol- „deter Betrüger, wie Eins gegen Hundert behauptet, alle- „mal iſt man ſchuldig, ihn nach ſeiner Theorie und ſeiner „Prätenſion zu beurtheilen. Man verſtößt gegen die erſten „Gründe der Logik und alle Billigkeit, wenn man, ſtatt „die Thatſachen zu unterſuchen, raiſonnirt, und ihm zu „Laſt legt, daß er dieß oder jenes nicht könne, was er zu „können nie behauptet hat. Ich geſtehe Ihnen, Briefe „von Gaßner geſehen zu haben, die nur entweder von der „redlichſten Seele oder von dem verfluchteſten Tartüffe her- „kommen können. Ich müßte mich verachten, wenn ich beym „Leſen dieſer Briefe mir hätte können einfallen laſſen: Gaß- „ner iſt ein Betrüger. — Ich ſchäme mich nicht, zu ſa- „gen, daß ich, die Sache zu unterſuchen, ſelbſt Luſt hatte, „wären nicht unvermeidliche Hinderniſſe dazwiſchen gekom- „men. Ich habe eine ſolche Menge von Nachrichten vor „mir, daß die Wichtigkeit und Würdigkeit einer genauen „Unterſuchung außer Zweifel iſt. Aber was werden meine „Feinde hiezu ſagen? Sie werden lachen und lügen. — „Aber leichter iſt Lachen als Unterſuchen. Der Narr lacht, „der Weiſe unterſucht, und nachher mag er lachen oder wei- „nen. Gaßner iſt kein Wunderthäter, und will keiner ſeyn, „aber ein Exorciſt? ſagſt Du Proteſtant; das ſoll und darf „er ſeyn. Alle Partheyen geben Thatſachen zu, alſo un- „terſuchet. Wer ſoll’s thun? Viele können’s nicht, Viele „wollen’s nicht. Katholiken können nicht, Proteſtanten „wollen nicht. Wer ſoll’s? Nochmal, lachen iſt leichter „als unterſuchen.“ Zürch, den 31. Mai 1775. In dieſen beyden letztern Briefen ſteht die wahre Auf- klärung der falſchen gegenüber. Die wahre dringt auf Un- terſuchung und muß darauf dringen, weil Chriſtus ſelbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/169
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/169>, abgerufen am 26.05.2024.