Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

2) Sind es mehrere schuldige Personen, so müssen ihre
abgesonderten Verhöre zu Geständnissen führen, welche in
den Thatsachen völlig übereinstimmen.

3) Die Depositionen der Zeugen müssen die angegebenen
Verbrechen bestätigen, wodurch der Verdacht, daß die Ver-
brechen blose vorgespiegelte Blendwerke seyen, am besten
gehoben wird.

4) Der Richter muß nicht nur sich aller Gewalmittel
und Ueberredungskünste enthalten, sondern auch durch Schär-
fung des Gewissens und religiöse Ermahnungen die Schul-
digen zu freyen Geständnissen mit unermüdeter Geduld zu
bewegen suchen.

5) Einen geschärften Grad von Wahrheit erhalten die
freyen Geständnisse, wenn sie von Reue und Leid über die
begangenen Missethaten und von der Aeußerung, daß sie
jede Strafe wohl verdienen, begleitet sind.

6) Die Acten müssen in Consilien erwogen und durch ein
förmliches Rechtsurtheil nach dem Bestand der Gesetze be-
schlossen werden.

Sind nun vollends die Angaben über die Natur des
Verbrechens mit den Protokollen der vorhergehenden Jahr-
hunderte und bey den verschiedensten Völkern gänzlich con-
form, so werden wir über die factische Wahrheit nicht mehr
im Ungewissen seyn.

Gerade von dieser Qualität sind die Protokolle und ju-
ridischen Facultäts-Consilien, welche der Zufall in unsere
Hände gespielt hat und aus welchen sich auch die theore-
tischen Momente über den Zauber gebildet haben. In ih-
nen sind alle Erfordernisse erfüllt, alle obige Einwürfe ge-
hoben, und alles, was dem frühern richterlichen Verfah-
ren aus den Zeiten der Inquisition zur Last fällt, ist weg-
geräumt. Dennoch wollen wir das Siegel nicht lösen,
womit unser aufgeklärtes Jahrhundert diese Geheimnisse ver-
siegelt hat, sondern die Sache blos als eine philosophische
Aufgabe würdigen.


2) Sind es mehrere ſchuldige Perſonen, ſo müſſen ihre
abgeſonderten Verhöre zu Geſtändniſſen führen, welche in
den Thatſachen völlig übereinſtimmen.

3) Die Depoſitionen der Zeugen müſſen die angegebenen
Verbrechen beſtätigen, wodurch der Verdacht, daß die Ver-
brechen bloſe vorgeſpiegelte Blendwerke ſeyen, am beſten
gehoben wird.

4) Der Richter muß nicht nur ſich aller Gewalmittel
und Ueberredungskünſte enthalten, ſondern auch durch Schär-
fung des Gewiſſens und religiöſe Ermahnungen die Schul-
digen zu freyen Geſtändniſſen mit unermüdeter Geduld zu
bewegen ſuchen.

5) Einen geſchärften Grad von Wahrheit erhalten die
freyen Geſtändniſſe, wenn ſie von Reue und Leid über die
begangenen Miſſethaten und von der Aeußerung, daß ſie
jede Strafe wohl verdienen, begleitet ſind.

6) Die Acten müſſen in Conſilien erwogen und durch ein
förmliches Rechtsurtheil nach dem Beſtand der Geſetze be-
ſchloſſen werden.

Sind nun vollends die Angaben über die Natur des
Verbrechens mit den Protokollen der vorhergehenden Jahr-
hunderte und bey den verſchiedenſten Völkern gänzlich con-
form, ſo werden wir über die factiſche Wahrheit nicht mehr
im Ungewiſſen ſeyn.

Gerade von dieſer Qualität ſind die Protokolle und ju-
ridiſchen Facultäts-Conſilien, welche der Zufall in unſere
Hände geſpielt hat und aus welchen ſich auch die theore-
tiſchen Momente über den Zauber gebildet haben. In ih-
nen ſind alle Erforderniſſe erfüllt, alle obige Einwürfe ge-
hoben, und alles, was dem frühern richterlichen Verfah-
ren aus den Zeiten der Inquiſition zur Laſt fällt, iſt weg-
geräumt. Dennoch wollen wir das Siegel nicht löſen,
womit unſer aufgeklärtes Jahrhundert dieſe Geheimniſſe ver-
ſiegelt hat, ſondern die Sache blos als eine philoſophiſche
Aufgabe würdigen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0186" n="172"/>
          <p>2) Sind es mehrere &#x017F;chuldige Per&#x017F;onen, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en ihre<lb/>
abge&#x017F;onderten Verhöre zu Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;en führen, welche in<lb/>
den That&#x017F;achen völlig überein&#x017F;timmen.</p><lb/>
          <p>3) Die Depo&#x017F;itionen der Zeugen mü&#x017F;&#x017F;en die angegebenen<lb/>
Verbrechen be&#x017F;tätigen, wodurch der Verdacht, daß die Ver-<lb/>
brechen blo&#x017F;e vorge&#x017F;piegelte Blendwerke &#x017F;eyen, am be&#x017F;ten<lb/>
gehoben wird.</p><lb/>
          <p>4) Der Richter muß nicht nur &#x017F;ich aller Gewalmittel<lb/>
und Ueberredungskün&#x017F;te enthalten, &#x017F;ondern auch durch Schär-<lb/>
fung des Gewi&#x017F;&#x017F;ens und religiö&#x017F;e Ermahnungen die Schul-<lb/>
digen zu freyen Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;en mit unermüdeter Geduld zu<lb/>
bewegen &#x017F;uchen.</p><lb/>
          <p>5) Einen ge&#x017F;chärften Grad von Wahrheit erhalten die<lb/>
freyen Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e, wenn &#x017F;ie von Reue und Leid über die<lb/>
begangenen Mi&#x017F;&#x017F;ethaten und von der Aeußerung, daß &#x017F;ie<lb/>
jede Strafe wohl verdienen, begleitet &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>6) Die Acten mü&#x017F;&#x017F;en in Con&#x017F;ilien erwogen und durch ein<lb/>
förmliches Rechtsurtheil nach dem Be&#x017F;tand der Ge&#x017F;etze be-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
          <p>Sind nun vollends die Angaben über die Natur des<lb/>
Verbrechens mit den Protokollen der vorhergehenden Jahr-<lb/>
hunderte und bey den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Völkern gänzlich con-<lb/>
form, &#x017F;o werden wir über die facti&#x017F;che Wahrheit nicht mehr<lb/>
im Ungewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Gerade von die&#x017F;er Qualität &#x017F;ind die Protokolle und ju-<lb/>
ridi&#x017F;chen Facultäts-Con&#x017F;ilien, welche der Zufall in un&#x017F;ere<lb/>
Hände ge&#x017F;pielt hat und aus welchen &#x017F;ich auch die theore-<lb/>
ti&#x017F;chen Momente über den Zauber gebildet haben. In ih-<lb/>
nen &#x017F;ind alle Erforderni&#x017F;&#x017F;e erfüllt, alle obige Einwürfe ge-<lb/>
hoben, und alles, was dem frühern richterlichen Verfah-<lb/>
ren aus den Zeiten der Inqui&#x017F;ition zur La&#x017F;t fällt, i&#x017F;t weg-<lb/>
geräumt. Dennoch wollen wir das Siegel nicht lö&#x017F;en,<lb/>
womit un&#x017F;er aufgeklärtes Jahrhundert die&#x017F;e Geheimni&#x017F;&#x017F;e ver-<lb/>
&#x017F;iegelt hat, &#x017F;ondern die Sache blos als eine philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Aufgabe würdigen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0186] 2) Sind es mehrere ſchuldige Perſonen, ſo müſſen ihre abgeſonderten Verhöre zu Geſtändniſſen führen, welche in den Thatſachen völlig übereinſtimmen. 3) Die Depoſitionen der Zeugen müſſen die angegebenen Verbrechen beſtätigen, wodurch der Verdacht, daß die Ver- brechen bloſe vorgeſpiegelte Blendwerke ſeyen, am beſten gehoben wird. 4) Der Richter muß nicht nur ſich aller Gewalmittel und Ueberredungskünſte enthalten, ſondern auch durch Schär- fung des Gewiſſens und religiöſe Ermahnungen die Schul- digen zu freyen Geſtändniſſen mit unermüdeter Geduld zu bewegen ſuchen. 5) Einen geſchärften Grad von Wahrheit erhalten die freyen Geſtändniſſe, wenn ſie von Reue und Leid über die begangenen Miſſethaten und von der Aeußerung, daß ſie jede Strafe wohl verdienen, begleitet ſind. 6) Die Acten müſſen in Conſilien erwogen und durch ein förmliches Rechtsurtheil nach dem Beſtand der Geſetze be- ſchloſſen werden. Sind nun vollends die Angaben über die Natur des Verbrechens mit den Protokollen der vorhergehenden Jahr- hunderte und bey den verſchiedenſten Völkern gänzlich con- form, ſo werden wir über die factiſche Wahrheit nicht mehr im Ungewiſſen ſeyn. Gerade von dieſer Qualität ſind die Protokolle und ju- ridiſchen Facultäts-Conſilien, welche der Zufall in unſere Hände geſpielt hat und aus welchen ſich auch die theore- tiſchen Momente über den Zauber gebildet haben. In ih- nen ſind alle Erforderniſſe erfüllt, alle obige Einwürfe ge- hoben, und alles, was dem frühern richterlichen Verfah- ren aus den Zeiten der Inquiſition zur Laſt fällt, iſt weg- geräumt. Dennoch wollen wir das Siegel nicht löſen, womit unſer aufgeklärtes Jahrhundert dieſe Geheimniſſe ver- ſiegelt hat, ſondern die Sache blos als eine philoſophiſche Aufgabe würdigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/186
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/186>, abgerufen am 27.11.2024.