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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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seit seiner Aufnahme ständig gewachsen und groß und stark geworden,
nicht nur an Mitgliederzahl, sondern sein Ansehen in den politischen
Parteien hat sich gefestigt, seit er sich öffentlich zu einem festen Grund-
prinzip bekannte.

Hier in Bremen
habe ich selbst als Vorstandsmitglied die in Frankfurt revidierten
Satzungen mit durchberaten. Auch mir war der § 3 so selbstverständlich,
daß mir nicht einmal zum Bewußtsein kam, es könne mit ihm etwas
neues in die Satzungen hineingebracht scheinen. Jch habe auch nicht die
leiseste Erinnerung daran, daß damals irgend einem Vorstandsmitglied
Skrupel kamen, oder jemand von uns etwas Parteipolitisches dahinter
gesucht hätte. Auch die Mitgliederversammlung, die dann die Satzungen
genehmigte, äußerte meines Wissens keinerlei Bedenken.

Die erste Opposition gegen den Paragraphen erhob sich im Jahre
1909 auf der Münchener Generalversammlung. Jhre Wiege war der
rheinisch-westfälische Frauenbund. Wer die Verhältnisse kennt, wer wie
ich, jedes Jahr Gelegenheit hat, sich davon zu überzeugen, wie weit
vorgeschritten die Frauenbewegung hier im Norden gegen die am Rhein
ist - wie Probleme, die wir hier als ganz selbstverständlich behandeln,
dort als "viel zu radikal" noch Kräutchen Rührmichnichtan sind, und
erst dann verhandlungsfähig werden, wenn sie uns, ich möchte sagen,
schon in Fleisch und Blut übergegangen sind, den wird es auch weiter
nicht wunder nehmen, daß unsre Forderung des allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechts den Frauen dort vorerst als eine viel
zu weitgehende erschien. Ein paar Jahre ruhigen Festhaltens, politischer
Aufklärungsarbeit, und ich bin überzeugt, man hätte sie ruhig akzeptiert.

Statt dessen aber organisierte man diese Opposition durch Ab-
splitterung einzelner rheinischer und westfälischer Ortsgruppen von unserm
Verband und brachte so die erste Spaltung in die bürgerliche Stimm-
rechtsbewegung. Am 20. Oktober 1909 traten diese Vereine zusammen
zum Nordwestdeutschen Verband für Frauenstimmrecht mit der Begrün-
dung: unser Programm sei ein parteipolitisches, und - wie mir vor
einigen Tagen ein Mitglied dieses Verbandes schrieb - "weil ein
weniger radikales Vorgehen ihnen sympathischer sei". Der unserm § 3
entgegengesetzte § 3 des Nordwestdeutschen Verbandes lautet: "Der
Verband erstrebt das Frauenstimmrecht in Kirche, Gemeinde und Staat
unter den gleichen Bedingungen, wie es die Männer haben und haben
werden." Das heißt also: für Preußen das Dreiklassenwahlrecht, für
Sachsen ein Pluralwahlrecht, für Mecklenburg gar kein Wahlrecht, für
Bremen ein allgemeines, ungleiches Wahlrecht, und kommt einmal eine

seit seiner Aufnahme ständig gewachsen und groß und stark geworden,
nicht nur an Mitgliederzahl, sondern sein Ansehen in den politischen
Parteien hat sich gefestigt, seit er sich öffentlich zu einem festen Grund-
prinzip bekannte.

Hier in Bremen
habe ich selbst als Vorstandsmitglied die in Frankfurt revidierten
Satzungen mit durchberaten. Auch mir war der § 3 so selbstverständlich,
daß mir nicht einmal zum Bewußtsein kam, es könne mit ihm etwas
neues in die Satzungen hineingebracht scheinen. Jch habe auch nicht die
leiseste Erinnerung daran, daß damals irgend einem Vorstandsmitglied
Skrupel kamen, oder jemand von uns etwas Parteipolitisches dahinter
gesucht hätte. Auch die Mitgliederversammlung, die dann die Satzungen
genehmigte, äußerte meines Wissens keinerlei Bedenken.

Die erste Opposition gegen den Paragraphen erhob sich im Jahre
1909 auf der Münchener Generalversammlung. Jhre Wiege war der
rheinisch-westfälische Frauenbund. Wer die Verhältnisse kennt, wer wie
ich, jedes Jahr Gelegenheit hat, sich davon zu überzeugen, wie weit
vorgeschritten die Frauenbewegung hier im Norden gegen die am Rhein
ist – wie Probleme, die wir hier als ganz selbstverständlich behandeln,
dort als „viel zu radikal“ noch Kräutchen Rührmichnichtan sind, und
erst dann verhandlungsfähig werden, wenn sie uns, ich möchte sagen,
schon in Fleisch und Blut übergegangen sind, den wird es auch weiter
nicht wunder nehmen, daß unsre Forderung des allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechts den Frauen dort vorerst als eine viel
zu weitgehende erschien. Ein paar Jahre ruhigen Festhaltens, politischer
Aufklärungsarbeit, und ich bin überzeugt, man hätte sie ruhig akzeptiert.

Statt dessen aber organisierte man diese Opposition durch Ab-
splitterung einzelner rheinischer und westfälischer Ortsgruppen von unserm
Verband und brachte so die erste Spaltung in die bürgerliche Stimm-
rechtsbewegung. Am 20. Oktober 1909 traten diese Vereine zusammen
zum Nordwestdeutschen Verband für Frauenstimmrecht mit der Begrün-
dung: unser Programm sei ein parteipolitisches, und – wie mir vor
einigen Tagen ein Mitglied dieses Verbandes schrieb – „weil ein
weniger radikales Vorgehen ihnen sympathischer sei“. Der unserm § 3
entgegengesetzte § 3 des Nordwestdeutschen Verbandes lautet: „Der
Verband erstrebt das Frauenstimmrecht in Kirche, Gemeinde und Staat
unter den gleichen Bedingungen, wie es die Männer haben und haben
werden.“ Das heißt also: für Preußen das Dreiklassenwahlrecht, für
Sachsen ein Pluralwahlrecht, für Mecklenburg gar kein Wahlrecht, für
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[7/0007] seit seiner Aufnahme ständig gewachsen und groß und stark geworden, nicht nur an Mitgliederzahl, sondern sein Ansehen in den politischen Parteien hat sich gefestigt, seit er sich öffentlich zu einem festen Grund- prinzip bekannte. Hier in Bremen habe ich selbst als Vorstandsmitglied die in Frankfurt revidierten Satzungen mit durchberaten. Auch mir war der § 3 so selbstverständlich, daß mir nicht einmal zum Bewußtsein kam, es könne mit ihm etwas neues in die Satzungen hineingebracht scheinen. Jch habe auch nicht die leiseste Erinnerung daran, daß damals irgend einem Vorstandsmitglied Skrupel kamen, oder jemand von uns etwas Parteipolitisches dahinter gesucht hätte. Auch die Mitgliederversammlung, die dann die Satzungen genehmigte, äußerte meines Wissens keinerlei Bedenken. Die erste Opposition gegen den Paragraphen erhob sich im Jahre 1909 auf der Münchener Generalversammlung. Jhre Wiege war der rheinisch-westfälische Frauenbund. Wer die Verhältnisse kennt, wer wie ich, jedes Jahr Gelegenheit hat, sich davon zu überzeugen, wie weit vorgeschritten die Frauenbewegung hier im Norden gegen die am Rhein ist – wie Probleme, die wir hier als ganz selbstverständlich behandeln, dort als „viel zu radikal“ noch Kräutchen Rührmichnichtan sind, und erst dann verhandlungsfähig werden, wenn sie uns, ich möchte sagen, schon in Fleisch und Blut übergegangen sind, den wird es auch weiter nicht wunder nehmen, daß unsre Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts den Frauen dort vorerst als eine viel zu weitgehende erschien. Ein paar Jahre ruhigen Festhaltens, politischer Aufklärungsarbeit, und ich bin überzeugt, man hätte sie ruhig akzeptiert. Statt dessen aber organisierte man diese Opposition durch Ab- splitterung einzelner rheinischer und westfälischer Ortsgruppen von unserm Verband und brachte so die erste Spaltung in die bürgerliche Stimm- rechtsbewegung. Am 20. Oktober 1909 traten diese Vereine zusammen zum Nordwestdeutschen Verband für Frauenstimmrecht mit der Begrün- dung: unser Programm sei ein parteipolitisches, und – wie mir vor einigen Tagen ein Mitglied dieses Verbandes schrieb – „weil ein weniger radikales Vorgehen ihnen sympathischer sei“. Der unserm § 3 entgegengesetzte § 3 des Nordwestdeutschen Verbandes lautet: „Der Verband erstrebt das Frauenstimmrecht in Kirche, Gemeinde und Staat unter den gleichen Bedingungen, wie es die Männer haben und haben werden.“ Das heißt also: für Preußen das Dreiklassenwahlrecht, für Sachsen ein Pluralwahlrecht, für Mecklenburg gar kein Wahlrecht, für Bremen ein allgemeines, ungleiches Wahlrecht, und kommt einmal eine

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Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/7>, abgerufen am 01.05.2024.