Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
pkl_090.001

§. 130. Die Naturlieder sprechen entweder die pkl_090.002
Gefühle aus, welche Gegenstände oder Erscheinungen pkl_090.003
der Natur im Gemüthe hervorrufen, pkl_090.004
oder sie schildern diese Gegenstände und Erscheinungen pkl_090.005
selbst, oder sie lassen das Gemüth betrachtend pkl_090.006
bei denselben verweilen, oder sie sind endlich allegorischen pkl_090.007
Charakters.

pkl_090.008

§. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung pkl_090.009
im Volke gefunden, wird es von demselben pkl_090.010
gern und viel gesungen, so nennt man es Volkslied. pkl_090.011
Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder pkl_090.012
im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des pkl_090.013
Volkes hervorgegangen und gehören also der Naturpoesie pkl_090.014
an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der pkl_090.015
Kunstpoesie werden nur dann zu Volksliedern werden, pkl_090.016
wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen, pkl_090.017
also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des pkl_090.018
Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren.

pkl_090.019
pkl_090.020

§. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen pkl_090.021
Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht, pkl_090.022
ist auch in Deutschland schon frühe angebaut pkl_090.023
worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung, pkl_090.024
eine Geschichte des deutschen Liedes zu geben; wir pkl_090.025
führen hier nur die Namen der ausgezeichnetsten pkl_090.026
unserer Liederdichter an.*) Jm religiösen Liede zeich-

*) pkl_090.027
Anmerkung. Wir bemerken hier ein für alle mal, daß pkl_090.028
wir bei solchen Hinweisungen auf die Literaturgeschichte in pkl_090.029
der Regel vorzugsweise die letzten hundert Jahre berücksichtigen pkl_090.030
und daß eine erschöpfende Vollständigkeit nicht pkl_090.031
in unseren Absichten liegen kann.
pkl_090.001

§. 130. Die Naturlieder sprechen entweder die pkl_090.002
Gefühle aus, welche Gegenstände oder Erscheinungen pkl_090.003
der Natur im Gemüthe hervorrufen, pkl_090.004
oder sie schildern diese Gegenstände und Erscheinungen pkl_090.005
selbst, oder sie lassen das Gemüth betrachtend pkl_090.006
bei denselben verweilen, oder sie sind endlich allegorischen pkl_090.007
Charakters.

pkl_090.008

§. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung pkl_090.009
im Volke gefunden, wird es von demselben pkl_090.010
gern und viel gesungen, so nennt man es Volkslied. pkl_090.011
Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder pkl_090.012
im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des pkl_090.013
Volkes hervorgegangen und gehören also der Naturpoesie pkl_090.014
an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der pkl_090.015
Kunstpoesie werden nur dann zu Volksliedern werden, pkl_090.016
wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen, pkl_090.017
also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des pkl_090.018
Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren.

pkl_090.019
pkl_090.020

§. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen pkl_090.021
Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht, pkl_090.022
ist auch in Deutschland schon frühe angebaut pkl_090.023
worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung, pkl_090.024
eine Geschichte des deutschen Liedes zu geben; wir pkl_090.025
führen hier nur die Namen der ausgezeichnetsten pkl_090.026
unserer Liederdichter an.*) Jm religiösen Liede zeich-

*) pkl_090.027
Anmerkung. Wir bemerken hier ein für alle mal, daß pkl_090.028
wir bei solchen Hinweisungen auf die Literaturgeschichte in pkl_090.029
der Regel vorzugsweise die letzten hundert Jahre berücksichtigen pkl_090.030
und daß eine erschöpfende Vollständigkeit nicht pkl_090.031
in unseren Absichten liegen kann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0116" n="90"/>
              <lb n="pkl_090.001"/>
              <p>  §. 130. Die <hi rendition="#g">Naturlieder</hi> sprechen entweder die <lb n="pkl_090.002"/> <hi rendition="#g">Gefühle</hi> aus, welche <hi rendition="#g">Gegenstände</hi> oder <hi rendition="#g">Erscheinungen</hi> <lb n="pkl_090.003"/>
der Natur im Gemüthe <hi rendition="#g">hervorrufen,</hi> <lb n="pkl_090.004"/>
oder sie <hi rendition="#g">schildern</hi> diese Gegenstände und Erscheinungen <lb n="pkl_090.005"/> <hi rendition="#g">selbst,</hi> oder sie lassen das Gemüth <hi rendition="#g">betrachtend</hi> <lb n="pkl_090.006"/>
bei denselben verweilen, oder sie sind endlich <hi rendition="#g">allegorischen</hi> <lb n="pkl_090.007"/>
Charakters.</p>
              <lb n="pkl_090.008"/>
              <p>  §. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung <lb n="pkl_090.009"/>
im <hi rendition="#g">Volke</hi> gefunden, wird es von demselben <lb n="pkl_090.010"/>
gern und viel gesungen, so nennt man es <hi rendition="#g">Volkslied.</hi> <lb n="pkl_090.011"/>
Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder <lb n="pkl_090.012"/>
im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des <lb n="pkl_090.013"/>
Volkes hervorgegangen und gehören also der <hi rendition="#g">Naturpoesie</hi> <lb n="pkl_090.014"/>
an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der <lb n="pkl_090.015"/> <hi rendition="#g">Kunstpoesie</hi> werden nur dann zu Volksliedern werden, <lb n="pkl_090.016"/>
wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen, <lb n="pkl_090.017"/>
also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des <lb n="pkl_090.018"/>
Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren.</p>
              <lb n="pkl_090.019"/>
              <lb n="pkl_090.020"/>
              <p>  §. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen <lb n="pkl_090.021"/>
Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht, <lb n="pkl_090.022"/>
ist auch in Deutschland schon frühe angebaut <lb n="pkl_090.023"/>
worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung, <lb n="pkl_090.024"/>
eine <hi rendition="#g">Geschichte</hi> des deutschen Liedes zu geben; wir <lb n="pkl_090.025"/>
führen hier nur die Namen der <hi rendition="#g">ausgezeichnetsten</hi> <lb n="pkl_090.026"/>
unserer Liederdichter an.<note xml:id="PKL_090_1" place="foot" n="*)"><lb n="pkl_090.027"/><hi rendition="#g">Anmerkung.</hi> Wir bemerken hier ein für alle mal, daß <lb n="pkl_090.028"/>
wir bei solchen Hinweisungen auf die Literaturgeschichte in <lb n="pkl_090.029"/>
der Regel vorzugsweise die <hi rendition="#g">letzten hundert</hi> Jahre berücksichtigen <lb n="pkl_090.030"/>
und daß eine erschöpfende Vollständigkeit nicht <lb n="pkl_090.031"/>
in unseren Absichten liegen kann.</note> Jm <hi rendition="#g">religiösen</hi> Liede zeich-
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0116] pkl_090.001 §. 130. Die Naturlieder sprechen entweder die pkl_090.002 Gefühle aus, welche Gegenstände oder Erscheinungen pkl_090.003 der Natur im Gemüthe hervorrufen, pkl_090.004 oder sie schildern diese Gegenstände und Erscheinungen pkl_090.005 selbst, oder sie lassen das Gemüth betrachtend pkl_090.006 bei denselben verweilen, oder sie sind endlich allegorischen pkl_090.007 Charakters. pkl_090.008 §. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung pkl_090.009 im Volke gefunden, wird es von demselben pkl_090.010 gern und viel gesungen, so nennt man es Volkslied. pkl_090.011 Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder pkl_090.012 im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des pkl_090.013 Volkes hervorgegangen und gehören also der Naturpoesie pkl_090.014 an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der pkl_090.015 Kunstpoesie werden nur dann zu Volksliedern werden, pkl_090.016 wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen, pkl_090.017 also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des pkl_090.018 Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren. pkl_090.019 pkl_090.020 §. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen pkl_090.021 Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht, pkl_090.022 ist auch in Deutschland schon frühe angebaut pkl_090.023 worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung, pkl_090.024 eine Geschichte des deutschen Liedes zu geben; wir pkl_090.025 führen hier nur die Namen der ausgezeichnetsten pkl_090.026 unserer Liederdichter an. *) Jm religiösen Liede zeich- *) pkl_090.027 Anmerkung. Wir bemerken hier ein für alle mal, daß pkl_090.028 wir bei solchen Hinweisungen auf die Literaturgeschichte in pkl_090.029 der Regel vorzugsweise die letzten hundert Jahre berücksichtigen pkl_090.030 und daß eine erschöpfende Vollständigkeit nicht pkl_090.031 in unseren Absichten liegen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/116
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/116>, abgerufen am 24.11.2024.