Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_109.001
durch Umstände und Verhältnisse bestimmt, durch keinen pkl_109.002
Spott gebessert." (Schlosser, Gesch. d. 18. Jahrhunderts.) pkl_109.003
Aber über welche Feinde soll der Dichter die pkl_109.004
satyrische Geißel schwingen? Unsere unmaaßgebliche pkl_109.005
Antwort geht dahin, daß die ernste Satyre allgemein pkl_109.006
verbreitete,
entweder offen daliegende oder pkl_109.007
doch leicht nachzuweisende sittliche Gebrechen der pkl_109.008
Zeit in ihrem, das wahre Wohl untergrabenden Einflusse pkl_109.009
darzustellen, oder solche bedeutende Personen, pkl_109.010
die durch Lehre oder Wandel weithin Verderben wirken, pkl_109.011
an den Pranger zu stellen habe. Die komische pkl_109.012
Satyre
dagegen hat sich besonders an die weitverbreiteten pkl_109.013
Thorheiten
und Schwächen, verkehrten pkl_109.014
Ansichten und Meinungen, die zwar nicht gerade pkl_109.015
verderblich wirken, aber doch immer lächerlich machen pkl_109.016
und vernunftwidrig sind, zu halten, mögen sich diese pkl_109.017
nun als allgemeine Zustände oder in einer einzelnen pkl_109.018
Person repräsentiren.

pkl_109.019

§. 162. Jn Hinsicht der Auffassung und Darstellung pkl_109.020
des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich pkl_109.021
als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre pkl_109.022
die Sache treffe, nicht die Person. Sofern der pkl_109.023
Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel pkl_109.024
ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber -- pkl_109.025
wie häufig -- die Satyre gewisse Personen als die pkl_109.026
Repräsentanten oder Urheber der gerügten Gebrechen pkl_109.027
oder Schwächen &c. ansehen, so hat dieser Satz pkl_109.028
nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber pkl_109.029
so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die pkl_109.030
Person geißelt, dabei doch stets die Sache im Auge pkl_109.031
haben; -- es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts

pkl_109.001
durch Umstände und Verhältnisse bestimmt, durch keinen pkl_109.002
Spott gebessert.“ (Schlosser, Gesch. d. 18. Jahrhunderts.) pkl_109.003
Aber über welche Feinde soll der Dichter die pkl_109.004
satyrische Geißel schwingen? Unsere unmaaßgebliche pkl_109.005
Antwort geht dahin, daß die ernste Satyre allgemein pkl_109.006
verbreitete,
entweder offen daliegende oder pkl_109.007
doch leicht nachzuweisende sittliche Gebrechen der pkl_109.008
Zeit in ihrem, das wahre Wohl untergrabenden Einflusse pkl_109.009
darzustellen, oder solche bedeutende Personen, pkl_109.010
die durch Lehre oder Wandel weithin Verderben wirken, pkl_109.011
an den Pranger zu stellen habe. Die komische pkl_109.012
Satyre
dagegen hat sich besonders an die weitverbreiteten pkl_109.013
Thorheiten
und Schwächen, verkehrten pkl_109.014
Ansichten und Meinungen, die zwar nicht gerade pkl_109.015
verderblich wirken, aber doch immer lächerlich machen pkl_109.016
und vernunftwidrig sind, zu halten, mögen sich diese pkl_109.017
nun als allgemeine Zustände oder in einer einzelnen pkl_109.018
Person repräsentiren.

pkl_109.019

§. 162. Jn Hinsicht der Auffassung und Darstellung pkl_109.020
des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich pkl_109.021
als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre pkl_109.022
die Sache treffe, nicht die Person. Sofern der pkl_109.023
Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel pkl_109.024
ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber — pkl_109.025
wie häufig — die Satyre gewisse Personen als die pkl_109.026
Repräsentanten oder Urheber der gerügten Gebrechen pkl_109.027
oder Schwächen &c. ansehen, so hat dieser Satz pkl_109.028
nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber pkl_109.029
so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die pkl_109.030
Person geißelt, dabei doch stets die Sache im Auge pkl_109.031
haben; — es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0135" n="109"/><lb n="pkl_109.001"/>
durch Umstände und Verhältnisse bestimmt, durch keinen <lb n="pkl_109.002"/>
Spott gebessert.&#x201C; (<hi rendition="#g">Schlosser,</hi> Gesch. d. 18. Jahrhunderts.) <lb n="pkl_109.003"/>
Aber über welche Feinde soll der Dichter die <lb n="pkl_109.004"/>
satyrische Geißel schwingen? Unsere unmaaßgebliche <lb n="pkl_109.005"/>
Antwort geht dahin, daß die <hi rendition="#g">ernste Satyre allgemein <lb n="pkl_109.006"/>
verbreitete,</hi> entweder offen daliegende oder <lb n="pkl_109.007"/>
doch leicht nachzuweisende <hi rendition="#g">sittliche Gebrechen</hi> der <lb n="pkl_109.008"/>
Zeit in ihrem, das wahre Wohl untergrabenden Einflusse <lb n="pkl_109.009"/>
darzustellen, oder solche bedeutende <hi rendition="#g">Personen,</hi> <lb n="pkl_109.010"/>
die durch Lehre oder Wandel weithin Verderben wirken, <lb n="pkl_109.011"/>
an den Pranger zu stellen habe. Die <hi rendition="#g">komische <lb n="pkl_109.012"/>
Satyre</hi> dagegen hat sich besonders an die <hi rendition="#g">weitverbreiteten <lb n="pkl_109.013"/>
Thorheiten</hi> und <hi rendition="#g">Schwächen,</hi> verkehrten <lb n="pkl_109.014"/> <hi rendition="#g">Ansichten</hi> und <hi rendition="#g">Meinungen,</hi> die zwar nicht gerade <lb n="pkl_109.015"/>
verderblich wirken, aber doch immer lächerlich machen <lb n="pkl_109.016"/>
und vernunftwidrig sind, zu halten, mögen sich diese <lb n="pkl_109.017"/>
nun als allgemeine Zustände oder in einer einzelnen <lb n="pkl_109.018"/>
Person repräsentiren.</p>
              <lb n="pkl_109.019"/>
              <p>  §. 162. Jn Hinsicht der <hi rendition="#g">Auffassung</hi> und <hi rendition="#g">Darstellung</hi> <lb n="pkl_109.020"/>
des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich <lb n="pkl_109.021"/>
als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre <lb n="pkl_109.022"/>
die <hi rendition="#g">Sache treffe, nicht die Person.</hi> Sofern der <lb n="pkl_109.023"/>
Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel <lb n="pkl_109.024"/>
ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber &#x2014; <lb n="pkl_109.025"/>
wie häufig &#x2014; die Satyre gewisse Personen als die <lb n="pkl_109.026"/> <hi rendition="#g">Repräsentanten</hi> oder <hi rendition="#g">Urheber</hi> der gerügten Gebrechen <lb n="pkl_109.027"/>
oder Schwächen &amp;c. ansehen, so hat dieser Satz <lb n="pkl_109.028"/>
nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber <lb n="pkl_109.029"/>
so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die <lb n="pkl_109.030"/> <hi rendition="#g">Person</hi> geißelt, dabei doch stets die <hi rendition="#g">Sache</hi> im Auge <lb n="pkl_109.031"/>
haben; &#x2014; es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0135] pkl_109.001 durch Umstände und Verhältnisse bestimmt, durch keinen pkl_109.002 Spott gebessert.“ (Schlosser, Gesch. d. 18. Jahrhunderts.) pkl_109.003 Aber über welche Feinde soll der Dichter die pkl_109.004 satyrische Geißel schwingen? Unsere unmaaßgebliche pkl_109.005 Antwort geht dahin, daß die ernste Satyre allgemein pkl_109.006 verbreitete, entweder offen daliegende oder pkl_109.007 doch leicht nachzuweisende sittliche Gebrechen der pkl_109.008 Zeit in ihrem, das wahre Wohl untergrabenden Einflusse pkl_109.009 darzustellen, oder solche bedeutende Personen, pkl_109.010 die durch Lehre oder Wandel weithin Verderben wirken, pkl_109.011 an den Pranger zu stellen habe. Die komische pkl_109.012 Satyre dagegen hat sich besonders an die weitverbreiteten pkl_109.013 Thorheiten und Schwächen, verkehrten pkl_109.014 Ansichten und Meinungen, die zwar nicht gerade pkl_109.015 verderblich wirken, aber doch immer lächerlich machen pkl_109.016 und vernunftwidrig sind, zu halten, mögen sich diese pkl_109.017 nun als allgemeine Zustände oder in einer einzelnen pkl_109.018 Person repräsentiren. pkl_109.019 §. 162. Jn Hinsicht der Auffassung und Darstellung pkl_109.020 des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich pkl_109.021 als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre pkl_109.022 die Sache treffe, nicht die Person. Sofern der pkl_109.023 Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel pkl_109.024 ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber — pkl_109.025 wie häufig — die Satyre gewisse Personen als die pkl_109.026 Repräsentanten oder Urheber der gerügten Gebrechen pkl_109.027 oder Schwächen &c. ansehen, so hat dieser Satz pkl_109.028 nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber pkl_109.029 so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die pkl_109.030 Person geißelt, dabei doch stets die Sache im Auge pkl_109.031 haben; — es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/135
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/135>, abgerufen am 24.11.2024.