antworten? Ich seh's nicht anders ein! denn ihr alle, wie ich euch hier erblicke, könnt ihr wohl mit Recht auf den Himmel oder die Hölle Anspruch machen? Für jenen seid ihr zu schlecht, für diese zu langweilig! --
Die Gerichtsanstalten ziehen sich noch in die Länge, doch rathe ich euch werdet nicht etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zusam- men, um, bis es unter uns kracht, noch einige hübsche Fortschritte in der Zerknirschung ge- macht zu haben. Ich will mit den triftigsten Gründen losbrechen: der Herr verschonte einst Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerech- ten willen, doch könntet ihr frech genug sein zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei sich beherbergen werde. Thue jemand unter euch auch nur einen einzigen vernünf- tigen Vorschlag, wohin man euch plazi- ren soll! Schon der seelige Kant hat es euch dargethan, wie Zeit und Raum nur
antworten? Ich ſeh’s nicht anders ein! denn ihr alle, wie ich euch hier erblicke, koͤnnt ihr wohl mit Recht auf den Himmel oder die Hoͤlle Anſpruch machen? Fuͤr jenen ſeid ihr zu ſchlecht, fuͤr dieſe zu langweilig! —
Die Gerichtsanſtalten ziehen ſich noch in die Laͤnge, doch rathe ich euch werdet nicht etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zuſam- men, um, bis es unter uns kracht, noch einige huͤbſche Fortſchritte in der Zerknirſchung ge- macht zu haben. Ich will mit den triftigſten Gruͤnden losbrechen: der Herr verſchonte einſt Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerech- ten willen, doch koͤnntet ihr frech genug ſein zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei ſich beherbergen werde. Thue jemand unter euch auch nur einen einzigen vernuͤnf- tigen Vorſchlag, wohin man euch plazi- ren ſoll! Schon der ſeelige Kant hat es euch dargethan, wie Zeit und Raum nur
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0107"n="105"/>
antworten? Ich ſeh’s nicht anders ein! denn<lb/>
ihr alle, wie ich euch hier erblicke, koͤnnt ihr<lb/>
wohl mit Recht auf den Himmel oder die<lb/>
Hoͤlle Anſpruch machen? Fuͤr jenen ſeid ihr zu<lb/>ſchlecht, fuͤr dieſe zu langweilig! —</p><lb/><p>Die Gerichtsanſtalten ziehen ſich noch in<lb/>
die Laͤnge, doch rathe ich euch werdet nicht<lb/>
etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zuſam-<lb/>
men, um, bis es unter uns kracht, noch einige<lb/>
huͤbſche Fortſchritte in der Zerknirſchung ge-<lb/>
macht zu haben. Ich will mit den triftigſten<lb/>
Gruͤnden losbrechen: der Herr verſchonte einſt<lb/>
Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerech-<lb/>
ten willen, doch koͤnntet ihr frech genug ſein<lb/>
zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen<lb/>
wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei<lb/>ſich beherbergen werde. Thue jemand unter<lb/>
euch auch nur einen einzigen vernuͤnf-<lb/>
tigen Vorſchlag, wohin man euch plazi-<lb/>
ren ſoll! Schon der ſeelige Kant hat es<lb/>
euch dargethan, wie Zeit und Raum nur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[105/0107]
antworten? Ich ſeh’s nicht anders ein! denn
ihr alle, wie ich euch hier erblicke, koͤnnt ihr
wohl mit Recht auf den Himmel oder die
Hoͤlle Anſpruch machen? Fuͤr jenen ſeid ihr zu
ſchlecht, fuͤr dieſe zu langweilig! —
Die Gerichtsanſtalten ziehen ſich noch in
die Laͤnge, doch rathe ich euch werdet nicht
etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zuſam-
men, um, bis es unter uns kracht, noch einige
huͤbſche Fortſchritte in der Zerknirſchung ge-
macht zu haben. Ich will mit den triftigſten
Gruͤnden losbrechen: der Herr verſchonte einſt
Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerech-
ten willen, doch koͤnntet ihr frech genug ſein
zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen
wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei
ſich beherbergen werde. Thue jemand unter
euch auch nur einen einzigen vernuͤnf-
tigen Vorſchlag, wohin man euch plazi-
ren ſoll! Schon der ſeelige Kant hat es
euch dargethan, wie Zeit und Raum nur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/107>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.