durch starkes Hinschauen auf einen Fleck, oder durch mechanisches Lesen Kotzebuescher Dramen, ja zuletzt schon durch heftig anhaltendes Lachen allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehen- den Sonne häufig Thränen vergießen sehen, und andere standen nahe dabei und rühmten es als ein Zeichen eines gefühlvollen Gemü- thes, und weinten zuletzt über den Weinen- den. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund, rührt der Gegenstand so heftig? -- Nicht doch; sagte jener, aber der Lichtstrahl wirkt nach neuern Beobachtungen, außerdem daß er nie- sen und weinen zuwege bringt, auch auf das Erzeugen; und ich war in Italien! -- Ich verstand den Mann, der der Sonne zu etwas Reellerm ins Auge schaute, als zum bloßen Phantasieren. -- Als ich mich lachend umdre- hete, schalten die andern mich weinend in sehr harten Ausdrücken; ich lachte über diesen Kontrast noch stärker, und es fehlte wenig, so hätten sie mich aus Rührung gesteinigt! --
durch ſtarkes Hinſchauen auf einen Fleck, oder durch mechaniſches Leſen Kotzebueſcher Dramen, ja zuletzt ſchon durch heftig anhaltendes Lachen allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehen- den Sonne haͤufig Thraͤnen vergießen ſehen, und andere ſtanden nahe dabei und ruͤhmten es als ein Zeichen eines gefuͤhlvollen Gemuͤ- thes, und weinten zuletzt uͤber den Weinen- den. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund, ruͤhrt der Gegenſtand ſo heftig? — Nicht doch; ſagte jener, aber der Lichtſtrahl wirkt nach neuern Beobachtungen, außerdem daß er nie- ſen und weinen zuwege bringt, auch auf das Erzeugen; und ich war in Italien! — Ich verſtand den Mann, der der Sonne zu etwas Reellerm ins Auge ſchaute, als zum bloßen Phantaſieren. — Als ich mich lachend umdre- hete, ſchalten die andern mich weinend in ſehr harten Ausdruͤcken; ich lachte uͤber dieſen Kontraſt noch ſtaͤrker, und es fehlte wenig, ſo haͤtten ſie mich aus Ruͤhrung geſteinigt! —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0261"n="259"/>
durch ſtarkes Hinſchauen auf einen Fleck, oder<lb/>
durch mechaniſches Leſen Kotzebueſcher Dramen,<lb/>
ja zuletzt ſchon durch heftig anhaltendes Lachen<lb/>
allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich<lb/>
abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehen-<lb/>
den Sonne haͤufig Thraͤnen vergießen ſehen,<lb/>
und andere ſtanden nahe dabei und ruͤhmten<lb/>
es als ein Zeichen eines gefuͤhlvollen Gemuͤ-<lb/>
thes, und weinten zuletzt uͤber den Weinen-<lb/>
den. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund,<lb/>
ruͤhrt der Gegenſtand ſo heftig? — Nicht doch;<lb/>ſagte jener, aber der Lichtſtrahl wirkt nach<lb/>
neuern Beobachtungen, außerdem daß er nie-<lb/>ſen und weinen zuwege bringt, auch auf das<lb/>
Erzeugen; und ich war in Italien! — Ich<lb/>
verſtand den Mann, der der Sonne zu etwas<lb/>
Reellerm ins Auge ſchaute, als zum bloßen<lb/>
Phantaſieren. — Als ich mich lachend umdre-<lb/>
hete, ſchalten die andern mich weinend in<lb/>ſehr harten Ausdruͤcken; ich lachte uͤber dieſen<lb/>
Kontraſt noch ſtaͤrker, und es fehlte wenig, ſo<lb/>
haͤtten ſie mich aus Ruͤhrung geſteinigt! —</p><lb/></div></body></text></TEI>
[259/0261]
durch ſtarkes Hinſchauen auf einen Fleck, oder
durch mechaniſches Leſen Kotzebueſcher Dramen,
ja zuletzt ſchon durch heftig anhaltendes Lachen
allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich
abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehen-
den Sonne haͤufig Thraͤnen vergießen ſehen,
und andere ſtanden nahe dabei und ruͤhmten
es als ein Zeichen eines gefuͤhlvollen Gemuͤ-
thes, und weinten zuletzt uͤber den Weinen-
den. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund,
ruͤhrt der Gegenſtand ſo heftig? — Nicht doch;
ſagte jener, aber der Lichtſtrahl wirkt nach
neuern Beobachtungen, außerdem daß er nie-
ſen und weinen zuwege bringt, auch auf das
Erzeugen; und ich war in Italien! — Ich
verſtand den Mann, der der Sonne zu etwas
Reellerm ins Auge ſchaute, als zum bloßen
Phantaſieren. — Als ich mich lachend umdre-
hete, ſchalten die andern mich weinend in
ſehr harten Ausdruͤcken; ich lachte uͤber dieſen
Kontraſt noch ſtaͤrker, und es fehlte wenig, ſo
haͤtten ſie mich aus Ruͤhrung geſteinigt! —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/261>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.