zu sehen, und dem frommen Greise ein Al- mosen zufließen zu lassen. Der Teufel ward gerufen. Er fühlte sich selbst betroffen, von ih- rer wunderbaren Schönheit, ihrer Sanft- muth und Güte, und ward um so begieri- ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte sie ihr schwärmerisches Auge an die Oefnung des Kastens, der Teufel leyerte seine All- tagssprüche herunter, und gaukelte ihr stu- fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus- schweifendsten Vorspieglungen der Wollust und des sinnlichen Genusses vor. Führte ihre Fantasie so rasch und unmerklich vom Geistigen zum Sinnlichen hinüber, daß sie die Schattirung kaum gewahr werden konn- te. Wenn sie das Auge zurückziehen woll- te, so verwandelte sich der anstößige Gegen- stand in ein erhabenes Bild, das den wi- drigen Eindruck auslöschte, und das Herz für das folgende zündbarer machte. Ihre Wangen glühten, sie glaubte vor einer be- zauberten, unbekannten Welt zu stehen. In allen diesen Scenen ließ der Tausendkünst-
ler
Fausts Leben. P
zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al- moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih- rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft- muth und Guͤte, und ward um ſo begieri- ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All- tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu- fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus- ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie die Schattirung kaum gewahr werden konn- te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll- te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen- ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi- drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be- zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt-
ler
Fauſts Leben. P
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="225"/>
zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al-<lb/>
moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward<lb/>
gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih-<lb/>
rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft-<lb/>
muth und Guͤte, und ward um ſo begieri-<lb/>
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte<lb/>ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung<lb/>
des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All-<lb/>
tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu-<lb/>
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-<lb/>ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt<lb/>
und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte<lb/>
ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom<lb/>
Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie<lb/>
die Schattirung kaum gewahr werden konn-<lb/>
te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll-<lb/>
te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen-<lb/>ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi-<lb/>
drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz<lb/>
fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre<lb/>
Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be-<lb/>
zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In<lb/>
allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Fauſts Leben.</hi> P</fw><fwplace="bottom"type="catch">ler</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[225/0236]
zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al-
moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward
gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih-
rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft-
muth und Guͤte, und ward um ſo begieri-
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte
ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung
des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All-
tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu-
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-
ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt
und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte
ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom
Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie
die Schattirung kaum gewahr werden konn-
te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll-
te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen-
ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi-
drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz
fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre
Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be-
zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In
allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt-
ler
Fauſts Leben. P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/236>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.