re Ketten geschmiedet, an die eine große Ku- gel befestigt war. Der Aufseher vertraute ihnen, daß der König oft in gesunden Ta- gen in dieser Gallerie herumspazirt sey, um sich an dem Gesang seiner Nachtigallen, wie er sie nannte, zu ergötzen. Faust fragte einige der Unglücklichen um die Ursache ih- rer schmählichen Gefangenschaft, und hörte Geschichten, die das Herz zerreißen. Unter andern that er an einen ehrwürdigen Greiß dieselbe Frage, und dieser antwortete in einem kläglichen Tone:
"Ach, wer ihr auch seyd, so laßt euch "mein grausames Schicksal zur Warnung "dienen, nie eure Hände einem Tyrannen zu "Grausamkeiten zu leihen. Ihr seht in "mir den Bischof von Verdün, jenen Un- "glücklichen, welcher zuerst dem grausamen "König den Gedanken von diesen scheußli- "chen Kefichen beygebracht hat, und der "den ersten verfertigen ließ, damit einer sei- "ner Feinde hinein gesperrt würde. Der "König ließ sogleich nach dem von mir ge-
"gebenen
S 4
re Ketten geſchmiedet, an die eine große Ku- gel befeſtigt war. Der Aufſeher vertraute ihnen, daß der Koͤnig oft in geſunden Ta- gen in dieſer Gallerie herumſpazirt ſey, um ſich an dem Geſang ſeiner Nachtigallen, wie er ſie nannte, zu ergoͤtzen. Fauſt fragte einige der Ungluͤcklichen um die Urſache ih- rer ſchmaͤhlichen Gefangenſchaft, und hoͤrte Geſchichten, die das Herz zerreißen. Unter andern that er an einen ehrwuͤrdigen Greiß dieſelbe Frage, und dieſer antwortete in einem klaͤglichen Tone:
„Ach, wer ihr auch ſeyd, ſo laßt euch „mein grauſames Schickſal zur Warnung „dienen, nie eure Haͤnde einem Tyrannen zu „Grauſamkeiten zu leihen. Ihr ſeht in „mir den Biſchof von Verduͤn, jenen Un- „gluͤcklichen, welcher zuerſt dem grauſamen „Koͤnig den Gedanken von dieſen ſcheußli- „chen Kefichen beygebracht hat, und der „den erſten verfertigen ließ, damit einer ſei- „ner Feinde hinein geſperrt wuͤrde. Der „Koͤnig ließ ſogleich nach dem von mir ge-
„gebenen
S 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="279"/>
re Ketten geſchmiedet, an die eine große Ku-<lb/>
gel befeſtigt war. Der Aufſeher vertraute<lb/>
ihnen, daß der Koͤnig oft in geſunden Ta-<lb/>
gen in dieſer Gallerie herumſpazirt ſey, um<lb/>ſich an dem Geſang ſeiner Nachtigallen, wie<lb/>
er ſie nannte, zu ergoͤtzen. Fauſt fragte<lb/>
einige der Ungluͤcklichen um die Urſache ih-<lb/>
rer ſchmaͤhlichen Gefangenſchaft, und hoͤrte<lb/>
Geſchichten, die das Herz zerreißen. Unter<lb/>
andern that er an einen ehrwuͤrdigen Greiß<lb/>
dieſelbe Frage, und dieſer antwortete in<lb/>
einem klaͤglichen Tone:</p><lb/><p>„Ach, wer ihr auch ſeyd, ſo laßt euch<lb/>„mein grauſames Schickſal zur Warnung<lb/>„dienen, nie eure Haͤnde einem Tyrannen zu<lb/>„Grauſamkeiten zu leihen. Ihr ſeht in<lb/>„mir den Biſchof von Verduͤn, jenen Un-<lb/>„gluͤcklichen, welcher zuerſt dem grauſamen<lb/>„Koͤnig den Gedanken von dieſen ſcheußli-<lb/>„chen Kefichen beygebracht hat, und der<lb/>„den erſten verfertigen ließ, damit einer ſei-<lb/>„ner Feinde hinein geſperrt wuͤrde. Der<lb/>„Koͤnig ließ ſogleich nach dem von mir ge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">„gebenen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[279/0290]
re Ketten geſchmiedet, an die eine große Ku-
gel befeſtigt war. Der Aufſeher vertraute
ihnen, daß der Koͤnig oft in geſunden Ta-
gen in dieſer Gallerie herumſpazirt ſey, um
ſich an dem Geſang ſeiner Nachtigallen, wie
er ſie nannte, zu ergoͤtzen. Fauſt fragte
einige der Ungluͤcklichen um die Urſache ih-
rer ſchmaͤhlichen Gefangenſchaft, und hoͤrte
Geſchichten, die das Herz zerreißen. Unter
andern that er an einen ehrwuͤrdigen Greiß
dieſelbe Frage, und dieſer antwortete in
einem klaͤglichen Tone:
„Ach, wer ihr auch ſeyd, ſo laßt euch
„mein grauſames Schickſal zur Warnung
„dienen, nie eure Haͤnde einem Tyrannen zu
„Grauſamkeiten zu leihen. Ihr ſeht in
„mir den Biſchof von Verduͤn, jenen Un-
„gluͤcklichen, welcher zuerſt dem grauſamen
„Koͤnig den Gedanken von dieſen ſcheußli-
„chen Kefichen beygebracht hat, und der
„den erſten verfertigen ließ, damit einer ſei-
„ner Feinde hinein geſperrt wuͤrde. Der
„Koͤnig ließ ſogleich nach dem von mir ge-
„gebenen
S 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/290>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.