giftigen Schlange in seinem geängsteten Bu- sen. Kaum wagt er aus seinem Zimmer zu gehen, weil er fürchtet, in jedem auf den er stößt, einen Mörder zu finden. Treibt ihn die Angst in die freye Lust, so bewafnet er sich mit Dolch und Speer, und hüllt sein zusammengeschrumpftes Gerippe in prächtige Kleider, um ihm einen gelognen Glanz zu geben, zeigt sich nur von weitem, damit das Auge der fern stehenden, nicht die Maskerade wahrnehme. Tag und Nacht blickt er angstvoll durch die Schießlöcher des Thurms, ob keine Feinde nahen, seinem traurigen Leben ein Ende zu machen. Vier hundert Trabanten wachen unaufhörlich um die düstre Höhle des abgelebten Wüthe- richs, der sein Daseyn nur noch durch Grau- samkeiten zu erkennen giebt. Ihr dumpfer Zuruf erschallt jede Stunde dreymal, von Posten zu Posten, durch die einsame Stille, und jeder Schrey erinnert den Tyrannen an seine schreckliche Lage. Das Feld um das Schloß ist mit Fußangeln bestreut, damit
keine
giftigen Schlange in ſeinem geaͤngſteten Bu- ſen. Kaum wagt er aus ſeinem Zimmer zu gehen, weil er fuͤrchtet, in jedem auf den er ſtoͤßt, einen Moͤrder zu finden. Treibt ihn die Angſt in die freye Luſt, ſo bewafnet er ſich mit Dolch und Speer, und huͤllt ſein zuſammengeſchrumpftes Gerippe in praͤchtige Kleider, um ihm einen gelognen Glanz zu geben, zeigt ſich nur von weitem, damit das Auge der fern ſtehenden, nicht die Maskerade wahrnehme. Tag und Nacht blickt er angſtvoll durch die Schießloͤcher des Thurms, ob keine Feinde nahen, ſeinem traurigen Leben ein Ende zu machen. Vier hundert Trabanten wachen unaufhoͤrlich um die duͤſtre Hoͤhle des abgelebten Wuͤthe- richs, der ſein Daſeyn nur noch durch Grau- ſamkeiten zu erkennen giebt. Ihr dumpfer Zuruf erſchallt jede Stunde dreymal, von Poſten zu Poſten, durch die einſame Stille, und jeder Schrey erinnert den Tyrannen an ſeine ſchreckliche Lage. Das Feld um das Schloß iſt mit Fußangeln beſtreut, damit
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giftigen Schlange in ſeinem geaͤngſteten Bu-
ſen. Kaum wagt er aus ſeinem Zimmer
zu gehen, weil er fuͤrchtet, in jedem auf
den er ſtoͤßt, einen Moͤrder zu finden. Treibt
ihn die Angſt in die freye Luſt, ſo bewafnet
er ſich mit Dolch und Speer, und huͤllt
ſein zuſammengeſchrumpftes Gerippe in
praͤchtige Kleider, um ihm einen gelognen
Glanz zu geben, zeigt ſich nur von weitem,
damit das Auge der fern ſtehenden, nicht
die Maskerade wahrnehme. Tag und Nacht
blickt er angſtvoll durch die Schießloͤcher
des Thurms, ob keine Feinde nahen, ſeinem
traurigen Leben ein Ende zu machen. Vier
hundert Trabanten wachen unaufhoͤrlich
um die duͤſtre Hoͤhle des abgelebten Wuͤthe-
richs, der ſein Daſeyn nur noch durch Grau-
ſamkeiten zu erkennen giebt. Ihr dumpfer
Zuruf erſchallt jede Stunde dreymal, von
Poſten zu Poſten, durch die einſame Stille,
und jeder Schrey erinnert den Tyrannen an
ſeine ſchreckliche Lage. Das Feld um das
Schloß iſt mit Fußangeln beſtreut, damit
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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