melplatz der Laster und deiner Lüste gesucht hast? Kennst du dich selbst? Laß mich tie- fer reißen, ich will mit Sturm in die Gluth blasen, die du in deinem Busen gesammelt hast. Wenn ich tausend menschliche Zun- gen hätte, und dich Jahre in diesem Kreiße gefesselt hielte, so könnte ich dir doch nicht alle die Folgen deiner Thaten und Verwe- genheiten entwickeln. Durch Jahrhunder- te läuft das Gewebe des Unglücks deiner Hand, und künftige Geschlechter verfluchen einst ihr Daseyn, weil du in wahnsinnigen Stunden, deinen Kitzel befriedigt; oder dich zum Richter und Rächer menschlicher Handlungen aufgeworfen hast. Sieh, Kühner, so bedeutend wird euer Würken, das euch Blinden so beschränkt scheint! Wer von euch kann sagen, die Zeit vertilgt die Spur meines Daseyns? Weißt du, was Zeit und Daseyn sind und sagen wollen? Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer fällt, nicht die Woge, um einen Tropfen? Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mit-
tel
melplatz der Laſter und deiner Luͤſte geſucht haſt? Kennſt du dich ſelbſt? Laß mich tie- fer reißen, ich will mit Sturm in die Gluth blaſen, die du in deinem Buſen geſammelt haſt. Wenn ich tauſend menſchliche Zun- gen haͤtte, und dich Jahre in dieſem Kreiße gefeſſelt hielte, ſo koͤnnte ich dir doch nicht alle die Folgen deiner Thaten und Verwe- genheiten entwickeln. Durch Jahrhunder- te laͤuft das Gewebe des Ungluͤcks deiner Hand, und kuͤnftige Geſchlechter verfluchen einſt ihr Daſeyn, weil du in wahnſinnigen Stunden, deinen Kitzel befriedigt; oder dich zum Richter und Raͤcher menſchlicher Handlungen aufgeworfen haſt. Sieh, Kuͤhner, ſo bedeutend wird euer Wuͤrken, das euch Blinden ſo beſchraͤnkt ſcheint! Wer von euch kann ſagen, die Zeit vertilgt die Spur meines Daſeyns? Weißt du, was Zeit und Daſeyn ſind und ſagen wollen? Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer faͤllt, nicht die Woge, um einen Tropfen? Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mit-
tel
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0391"n="380"/>
melplatz der Laſter und deiner Luͤſte geſucht<lb/>
haſt? Kennſt du dich ſelbſt? Laß mich tie-<lb/>
fer reißen, ich will mit Sturm in die Gluth<lb/>
blaſen, die du in deinem Buſen geſammelt<lb/>
haſt. Wenn ich tauſend menſchliche Zun-<lb/>
gen haͤtte, und dich Jahre in dieſem Kreiße<lb/>
gefeſſelt hielte, ſo koͤnnte ich dir doch nicht<lb/>
alle die Folgen deiner Thaten und Verwe-<lb/>
genheiten entwickeln. Durch Jahrhunder-<lb/>
te laͤuft das Gewebe des Ungluͤcks deiner<lb/>
Hand, und kuͤnftige Geſchlechter verfluchen<lb/>
einſt ihr Daſeyn, weil du in wahnſinnigen<lb/>
Stunden, deinen Kitzel befriedigt; oder<lb/>
dich zum Richter und Raͤcher menſchlicher<lb/>
Handlungen aufgeworfen haſt. Sieh,<lb/>
Kuͤhner, ſo bedeutend wird euer Wuͤrken,<lb/>
das euch Blinden ſo beſchraͤnkt ſcheint!<lb/>
Wer von euch kann ſagen, die Zeit vertilgt<lb/>
die Spur meines Daſeyns? Weißt du, was<lb/>
Zeit und Daſeyn ſind und ſagen wollen?<lb/>
Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer<lb/>
faͤllt, nicht die Woge, um einen Tropfen?<lb/>
Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mit-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tel</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[380/0391]
melplatz der Laſter und deiner Luͤſte geſucht
haſt? Kennſt du dich ſelbſt? Laß mich tie-
fer reißen, ich will mit Sturm in die Gluth
blaſen, die du in deinem Buſen geſammelt
haſt. Wenn ich tauſend menſchliche Zun-
gen haͤtte, und dich Jahre in dieſem Kreiße
gefeſſelt hielte, ſo koͤnnte ich dir doch nicht
alle die Folgen deiner Thaten und Verwe-
genheiten entwickeln. Durch Jahrhunder-
te laͤuft das Gewebe des Ungluͤcks deiner
Hand, und kuͤnftige Geſchlechter verfluchen
einſt ihr Daſeyn, weil du in wahnſinnigen
Stunden, deinen Kitzel befriedigt; oder
dich zum Richter und Raͤcher menſchlicher
Handlungen aufgeworfen haſt. Sieh,
Kuͤhner, ſo bedeutend wird euer Wuͤrken,
das euch Blinden ſo beſchraͤnkt ſcheint!
Wer von euch kann ſagen, die Zeit vertilgt
die Spur meines Daſeyns? Weißt du, was
Zeit und Daſeyn ſind und ſagen wollen?
Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer
faͤllt, nicht die Woge, um einen Tropfen?
Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mit-
tel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/391>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.