auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu spre- chen. Mit seinen Landsleuten spricht er noch wol unterweilen etwas; allein am liebsten ist er doch für sich, und hat er mit sich selbst zu thun.
Für junge Dichter.
Dreyerley vor allen Dingen, sagte ein Zunftältester zu einem Jünglinge, der ihm seine Neigung zur Dichtkunst gestanden hat- te: Untersuchung des Menschen, Vor- übungen, und Sprachkentnis. Wenn du den Menschen nicht kenst, wie er gewönlich ist; und wie er seyn könte, und selten ist: so weist du weder aus noch ein, wenn nun Noth an den Mann geht, das heist, wenn du den rechten, den vorzüglich, oder bisweilen allein wirkenden Punkt bey einer Vorstellung treffen solst. Doch diese Untersuchung erfodert Jah- re; und du kanst, eh du sie vollendet hast, Vorübungen machen. Von Vorübungen hab ich noch nie etwas gehört. Es ändert bey der Sache nichts, daß du jezo das erste- mal davon hörst. Zeichnet der künftige Ma- ler nicht die Glieder des menschlichen Leibes einzeln, und die, bey denen es ihm am we- nigsten gelingt, wol hundertmal, eh er sich an die ganze edle Gestalt wagt? Und hat er
etwa
auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu ſpre- chen. Mit ſeinen Landsleuten ſpricht er noch wol unterweilen etwas; allein am liebſten iſt er doch fuͤr ſich, und hat er mit ſich ſelbſt zu thun.
Fuͤr junge Dichter.
Dreyerley vor allen Dingen, ſagte ein Zunftaͤlteſter zu einem Juͤnglinge, der ihm ſeine Neigung zur Dichtkunſt geſtanden hat- te: Unterſuchung des Menſchen, Vor- uͤbungen, und Sprachkentnis. Wenn du den Menſchen nicht kenſt, wie er gewoͤnlich iſt; und wie er ſeyn koͤnte, und ſelten iſt: ſo weiſt du weder aus noch ein, wenn nun Noth an den Mann geht, das heiſt, wenn du den rechten, den vorzuͤglich, oder bisweilen allein wirkenden Punkt bey einer Vorſtellung treffen ſolſt. Doch dieſe Unterſuchung erfodert Jah- re; und du kanſt, eh du ſie vollendet haſt, Voruͤbungen machen. Von Voruͤbungen hab ich noch nie etwas gehoͤrt. Es aͤndert bey der Sache nichts, daß du jezo das erſte- mal davon hoͤrſt. Zeichnet der kuͤnftige Ma- ler nicht die Glieder des menſchlichen Leibes einzeln, und die, bey denen es ihm am we- nigſten gelingt, wol hundertmal, eh er ſich an die ganze edle Geſtalt wagt? Und hat er
etwa
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auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu ſpre-
chen. Mit ſeinen Landsleuten ſpricht er noch
wol unterweilen etwas; allein am liebſten iſt
er doch fuͤr ſich, und hat er mit ſich ſelbſt zu
thun.
Fuͤr junge Dichter.
Dreyerley vor allen Dingen, ſagte ein
Zunftaͤlteſter zu einem Juͤnglinge, der ihm
ſeine Neigung zur Dichtkunſt geſtanden hat-
te: Unterſuchung des Menſchen, Vor-
uͤbungen, und Sprachkentnis. Wenn du
den Menſchen nicht kenſt, wie er gewoͤnlich
iſt; und wie er ſeyn koͤnte, und ſelten iſt: ſo
weiſt du weder aus noch ein, wenn nun Noth
an den Mann geht, das heiſt, wenn du den
rechten, den vorzuͤglich, oder bisweilen allein
wirkenden Punkt bey einer Vorſtellung treffen
ſolſt. Doch dieſe Unterſuchung erfodert Jah-
re; und du kanſt, eh du ſie vollendet haſt,
Voruͤbungen machen. Von Voruͤbungen
hab ich noch nie etwas gehoͤrt. Es aͤndert
bey der Sache nichts, daß du jezo das erſte-
mal davon hoͤrſt. Zeichnet der kuͤnftige Ma-
ler nicht die Glieder des menſchlichen Leibes
einzeln, und die, bey denen es ihm am we-
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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