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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Der Meßias.

Also war die Versammlung. Selbst Philo und Kaiphas schienen
Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht und Verachtung
Sah sie Nikodemus, stand auf, und wagt es, zu reden.
Lang gebildet, ein Mann von menschenfreundlichem Ansehn,
Stand er. Wehmuth und Ernst erfüllten sein Antlitz; und Adel,
Adel eines empfindenden unbefleckten Gewissens
Sprach sein ganzes Gesicht. Sein treuer Zeuge, das Auge
Weint, und verbarg nicht die Thränen. Er glaubt, er spräche vor Menschen.
Also sagt er: Gesegnet sey, mir, Gamaliel, ewig
Unter den Männern! Gesegnet sey, o Mann Gottes, die Rede
Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum Helden gesetzet,
Und ein schneidendes Schwert in deinen Mund dir gegeben!
Noch bebt unser Gebein, das deine Rede getheilt hat!
Noch sinkt unser ohnmächtiges Knie! Noch decket Dunkel
Unser Auge! Noch sehen wir Gott in strafenden Wettern,
Daß die Empörer wider sein Thun des Staubs sich erinnern,
Der sie gebar! Der Gott, der diese Weisheit dich lehrte,
Der dir, ein mehr als königlichs Herz, und männlichen Mut gab!
Schütze, Gamaliel, dich! Und ist er der hohe Meßias,
Sey er auch dein Meßias, und deines Saamens Meßias!
Aber euch kann ich nicht segnen, die Gottes erhabnen Propheten
Also verfolgen! Philo, dich nicht! dich, Kaiphas, auch nicht!
Weinen kann ich vor euch! Wenn anders die Stimme des Weinens
Euerm Herzen hörbar noch ist! Und wenn, für die Unschuld
Menschlich vergossene Thränen, noch eure Seele bewegen!
Jtzo klagt noch die Stimme der Thränen, die Unschuld zu retten.
Höret sie, Väter. Jst erst ihr heiliges Blut vergossen:

Als-

Der Meßias.

Alſo war die Verſammlung. Selbſt Philo und Kaiphas ſchienen
Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht und Verachtung
Sah ſie Nikodemus, ſtand auf, und wagt es, zu reden.
Lang gebildet, ein Mann von menſchenfreundlichem Anſehn,
Stand er. Wehmuth und Ernſt erfuͤllten ſein Antlitz; und Adel,
Adel eines empfindenden unbefleckten Gewiſſens
Sprach ſein ganzes Geſicht. Sein treuer Zeuge, das Auge
Weint, und verbarg nicht die Thraͤnen. Er glaubt, er ſpraͤche vor Menſchen.
Alſo ſagt er: Geſegnet ſey, mir, Gamaliel, ewig
Unter den Maͤnnern! Geſegnet ſey, o Mann Gottes, die Rede
Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum Helden geſetzet,
Und ein ſchneidendes Schwert in deinen Mund dir gegeben!
Noch bebt unſer Gebein, das deine Rede getheilt hat!
Noch ſinkt unſer ohnmaͤchtiges Knie! Noch decket Dunkel
Unſer Auge! Noch ſehen wir Gott in ſtrafenden Wettern,
Daß die Empoͤrer wider ſein Thun des Staubs ſich erinnern,
Der ſie gebar! Der Gott, der dieſe Weisheit dich lehrte,
Der dir, ein mehr als koͤniglichs Herz, und maͤnnlichen Mut gab!
Schuͤtze, Gamaliel, dich! Und iſt er der hohe Meßias,
Sey er auch dein Meßias, und deines Saamens Meßias!
Aber euch kann ich nicht ſegnen, die Gottes erhabnen Propheten
Alſo verfolgen! Philo, dich nicht! dich, Kaiphas, auch nicht!
Weinen kann ich vor euch! Wenn anders die Stimme des Weinens
Euerm Herzen hoͤrbar noch iſt! Und wenn, fuͤr die Unſchuld
Menſchlich vergoſſene Thraͤnen, noch eure Seele bewegen!
Jtzo klagt noch die Stimme der Thraͤnen, die Unſchuld zu retten.
Hoͤret ſie, Vaͤter. Jſt erſt ihr heiliges Blut vergoſſen:

Als-
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[112/0124] Der Meßias. Alſo war die Verſammlung. Selbſt Philo und Kaiphas ſchienen Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht und Verachtung Sah ſie Nikodemus, ſtand auf, und wagt es, zu reden. Lang gebildet, ein Mann von menſchenfreundlichem Anſehn, Stand er. Wehmuth und Ernſt erfuͤllten ſein Antlitz; und Adel, Adel eines empfindenden unbefleckten Gewiſſens Sprach ſein ganzes Geſicht. Sein treuer Zeuge, das Auge Weint, und verbarg nicht die Thraͤnen. Er glaubt, er ſpraͤche vor Menſchen. Alſo ſagt er: Geſegnet ſey, mir, Gamaliel, ewig Unter den Maͤnnern! Geſegnet ſey, o Mann Gottes, die Rede Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum Helden geſetzet, Und ein ſchneidendes Schwert in deinen Mund dir gegeben! Noch bebt unſer Gebein, das deine Rede getheilt hat! Noch ſinkt unſer ohnmaͤchtiges Knie! Noch decket Dunkel Unſer Auge! Noch ſehen wir Gott in ſtrafenden Wettern, Daß die Empoͤrer wider ſein Thun des Staubs ſich erinnern, Der ſie gebar! Der Gott, der dieſe Weisheit dich lehrte, Der dir, ein mehr als koͤniglichs Herz, und maͤnnlichen Mut gab! Schuͤtze, Gamaliel, dich! Und iſt er der hohe Meßias, Sey er auch dein Meßias, und deines Saamens Meßias! Aber euch kann ich nicht ſegnen, die Gottes erhabnen Propheten Alſo verfolgen! Philo, dich nicht! dich, Kaiphas, auch nicht! Weinen kann ich vor euch! Wenn anders die Stimme des Weinens Euerm Herzen hoͤrbar noch iſt! Und wenn, fuͤr die Unſchuld Menſchlich vergoſſene Thraͤnen, noch eure Seele bewegen! Jtzo klagt noch die Stimme der Thraͤnen, die Unſchuld zu retten. Hoͤret ſie, Vaͤter. Jſt erſt ihr heiliges Blut vergoſſen: Als-

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/124>, abgerufen am 21.11.2024.