[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.Der Meßias. Das ist Gott, versammelte Kinder, der mich, und euch alle, Zu Lebendigen schuf; der jene Thäler mit Blumen, Diese Berge mit Wolken umkränzte! Doch gab er dem Thal nicht, Nicht den Bergen unsterbliche Seelen, die gab er euch, Kinder! Auch gab er den Bergen und Thälern die schöne Gestalt nicht, Die ihr habt, nicht die menschliche Bildung, so mächtig, der Seele Jnnerstes Denken vom redenden Antlitz herunter zu sagen: Keinen freudigen Blick, der dankbar gen Himmel hinaufschaut; Keine Stimme, der Seraphim Lied mitanbetend zu singen. Der erschien mir im offenen Haine des Paradieses, Als er aus Erde zum Menschen mich schuf, der führte mich segnend Eurer Mutter Umarmungen zu. Sprich, Ceder, und rausche! Sprich! Denn unter dir sah ich ihn wandeln. Steh, reissender Strom, still! Steh dort! Denn da gieng er hinüber. Du, sanfteres Lispeln Stiller Winde, sprich wieder von ihm wie du ehmals sprachest, Als der Unendliche lächelnd von jenen Hügeln herabkam. Steh vor ihm, Erd, und wandle nicht fort, wie du ehmals still standst, Als er über dir gieng, als sein erhabneres Antlitz Wandelnde Himmel umflossen, und seine göttliche Rechte Sonnen hielt und wog, die linke Hand Morgensterne. Darf ich mich unterwinden, von neuem dich anzublicken, Ewiger? Aber gebeut, daß jene Mitternacht fliehe, Die dich, Vater, umgiebt! Ach, laß dein Auge nicht füllen Diesen schrecklichen Ernst; den kein Unsterblicher schaun kann! Ach, wer müssen die seyn? auf die dieß Antlitz sich rüstet, Und dieß Auge voll Grimm! Wahrhaftig, keine Geschöpfe, Die du liebst! Ein unseliges Volk gefallener Geister, Die
Der Meßias. Das iſt Gott, verſammelte Kinder, der mich, und euch alle, Zu Lebendigen ſchuf; der jene Thaͤler mit Blumen, Dieſe Berge mit Wolken umkraͤnzte! Doch gab er dem Thal nicht, Nicht den Bergen unſterbliche Seelen, die gab er euch, Kinder! Auch gab er den Bergen und Thaͤlern die ſchoͤne Geſtalt nicht, Die ihr habt, nicht die menſchliche Bildung, ſo maͤchtig, der Seele Jnnerſtes Denken vom redenden Antlitz herunter zu ſagen: Keinen freudigen Blick, der dankbar gen Himmel hinaufſchaut; Keine Stimme, der Seraphim Lied mitanbetend zu ſingen. Der erſchien mir im offenen Haine des Paradieſes, Als er aus Erde zum Menſchen mich ſchuf, der fuͤhrte mich ſegnend Eurer Mutter Umarmungen zu. Sprich, Ceder, und rauſche! Sprich! Denn unter dir ſah ich ihn wandeln. Steh, reiſſender Strom, ſtill! Steh dort! Denn da gieng er hinuͤber. Du, ſanfteres Lispeln Stiller Winde, ſprich wieder von ihm wie du ehmals ſpracheſt, Als der Unendliche laͤchelnd von jenen Huͤgeln herabkam. Steh vor ihm, Erd, und wandle nicht fort, wie du ehmals ſtill ſtandſt, Als er uͤber dir gieng, als ſein erhabneres Antlitz Wandelnde Himmel umfloſſen, und ſeine goͤttliche Rechte Sonnen hielt und wog, die linke Hand Morgenſterne. Darf ich mich unterwinden, von neuem dich anzublicken, Ewiger? Aber gebeut, daß jene Mitternacht fliehe, Die dich, Vater, umgiebt! Ach, laß dein Auge nicht fuͤllen Dieſen ſchrecklichen Ernſt; den kein Unſterblicher ſchaun kann! Ach, wer muͤſſen die ſeyn? auf die dieß Antlitz ſich ruͤſtet, Und dieß Auge voll Grimm! Wahrhaftig, keine Geſchoͤpfe, Die du liebſt! Ein unſeliges Volk gefallener Geiſter, Die
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Der Meßias.
Das iſt Gott, verſammelte Kinder, der mich, und euch alle,
Zu Lebendigen ſchuf; der jene Thaͤler mit Blumen,
Dieſe Berge mit Wolken umkraͤnzte! Doch gab er dem Thal nicht,
Nicht den Bergen unſterbliche Seelen, die gab er euch, Kinder!
Auch gab er den Bergen und Thaͤlern die ſchoͤne Geſtalt nicht,
Die ihr habt, nicht die menſchliche Bildung, ſo maͤchtig, der Seele
Jnnerſtes Denken vom redenden Antlitz herunter zu ſagen:
Keinen freudigen Blick, der dankbar gen Himmel hinaufſchaut;
Keine Stimme, der Seraphim Lied mitanbetend zu ſingen.
Der erſchien mir im offenen Haine des Paradieſes,
Als er aus Erde zum Menſchen mich ſchuf, der fuͤhrte mich ſegnend
Eurer Mutter Umarmungen zu. Sprich, Ceder, und rauſche!
Sprich! Denn unter dir ſah ich ihn wandeln. Steh, reiſſender Strom, ſtill!
Steh dort! Denn da gieng er hinuͤber. Du, ſanfteres Lispeln
Stiller Winde, ſprich wieder von ihm wie du ehmals ſpracheſt,
Als der Unendliche laͤchelnd von jenen Huͤgeln herabkam.
Steh vor ihm, Erd, und wandle nicht fort, wie du ehmals ſtill ſtandſt,
Als er uͤber dir gieng, als ſein erhabneres Antlitz
Wandelnde Himmel umfloſſen, und ſeine goͤttliche Rechte
Sonnen hielt und wog, die linke Hand Morgenſterne.
Darf ich mich unterwinden, von neuem dich anzublicken,
Ewiger? Aber gebeut, daß jene Mitternacht fliehe,
Die dich, Vater, umgiebt! Ach, laß dein Auge nicht fuͤllen
Dieſen ſchrecklichen Ernſt; den kein Unſterblicher ſchaun kann!
Ach, wer muͤſſen die ſeyn? auf die dieß Antlitz ſich ruͤſtet,
Und dieß Auge voll Grimm! Wahrhaftig, keine Geſchoͤpfe,
Die du liebſt! Ein unſeliges Volk gefallener Geiſter,
Die
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